"Utøya, 22. Juli"  72 Minuten Nähe

„Utøya, 22. Juli“ dokumentiert das Massaker aus der Perspektive der Opfer.

Filmkritik "Utøya, 22. Juli"
Foto: dpa/Agnete Brun

Am 22.Juli 2011 brachte der rechtsradikale Terrorist Anders Breivik vor einem Regierungsgebäude in Oslo eine Bombe zur Explosion, um dann wenig später schwer bewaffnet in einer Polizeiuniform auf die kleine Insel Utøya überzusetzen. Hier veranstaltete die norwegische Arbeiterpartei ein Sommerlager mit mehreren hundert Jugendlichen. Auf der Insel angekommen eröffnete der Täter das Feuer. 69 Menschen kamen bei dem Massaker ums Leben kommen. Mindestens 110 Menschen wurden verletzt. 72 Minuten wütete der Schütze auf der Insel. 72 Minuten dauert auch der Film des norwegischen Regisseurs Erik Poppe „Utøya, 22. Juli“, der die traumatischen Ergeignisse auf der Insel rekonstruiert und sich dabei voll und ganz der Perspektive der Opfer widmet.

Poppe hat eng mit den Überlebenden und Hinterbliebenen der Opfer zusammen gearbeitet. Gedreht wurde in einer einzigen Einstellung ohne Schnitt und Musikuntermalung, wodurch die Angst und Beklemmung der Ereignisse filmisch ungebrochen umsetzt wird. Der hyper-empathische Erzählansatz versteht sich als filmisches Mahnmal, das mit Respekt vor den Opfern einen Beitrag zur Bewältigung der traumatischen Ereignisse leisten will, die sich tief ins Bewusstsein der norwegischen Gesellschaft eingebrannt haben.

Der Film folgt der 19jährigen Kaja (herausragend: Andrea Bernzen), die sich in der ausbrechenden Panik auf die Suche nach der jüngere Schwester begibt. Geschwisterliches Verantwortungsgefühl, Hilfsbereitschaft und blanker Überlebenswille bestimmen ihre widerstrebenden Gefühle in einer Situation von anhaltender Panik. Der Täter kommt nur einmal kurz in der Ferne als verschwommener Schattenriss ins Bild. Konsequent verweigert Poppe dem Rechtsextremisten Anders Behring Breivik die mediale Aufmerksamkeit, die er sich mit dem Massaker gewaltsam erzwingen wollte. Nicht einmal sein Name wird im Abspann genannt.

„Utøya 22.Juli“ hält sich angesichts der horriblen Situation von allem Gewalt-Voyeurismus fern und zeigt ohne falsche Sentimentalisierungen die Angst, aber auch die Solidarität der Jugendlichen in dieser furchtbaren Bedrohungssituation. Natürlich ist solch ein Film nicht leicht zu ertragen, aber das liegt nicht an blutigen Gewaltdarstellungen, sondern an der radikalen Nähe, die zu den jugendlichen Opfern hergestellt wird.

Viel zu oft wird im Kino bedeutungslos gemordet. Ganz im Gegensatz dazu macht „Utøya 22. Juli“ den schmerzhaften Verlust direkt spürbar, den der Tod jedes einzelnen dieser jungen Menschen bedeutet, nicht nur für die Familien und Freunde der Opfer, sondern auch für uns – die Menschheit.

Utøya 22. Juli, Norwegen 2018 –  Regie: Erik Poppe, mit Andrea Berntzen 98 Min.

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