Analyse zum Lira-Absturz Warum die Türkei zu einem globalen Risiko wird

Berlin · Droht ein neues Griechenland am Bosporus? Die Sanktionen von US-Präsident Trump haben den Währungsverfall der türkischen Lira beschleunigt und legen die schwierige wirtschaftliche Lage schonungslos offen. Eine Analyse.

Der Preis, den die Türkei bezahlen muss, damit ihr Präsident Recep Tayyip Erdogan in der immer härter werdenden Auseinandersetzung mit US-Präsident Donald Trump sein Gesicht wahren kann, ist ein extrem hoher: Die Landeswährung Lira verlor seit Jahresbeginn gegenüber US-Dollar und Euro bereits 40 Prozent ihres Werts, und ein Ende des Lira-Absturzes ist nicht in Sicht. Der Währungsverfall verteuert Importe und die enormen Auslandsschulden der Türkei, er vertieft so die schon seit etwa zwei Jahren wachsenden wirtschaftlichen Probleme des Landes. Er sorgt für Nervosität an den Aktienmärkten, andere Schwellenländer fürchten Ansteckungsgefahren – und in Europa wächst die Angst vor einer Neuauflage der Flüchtlingskrise.

Was sind die Gründe für den aktuellen Absturz der türkischen Lira? Der Auslöser der jüngsten Zuspitzung war vergleichsweise lapidar: Erdogan weigert sich, den in der Türkei unter Hausarrest stehenden US-Pastor Andrew Brunson freizulassen. Brunson wird unter fadenscheinigen Vorwänden des „Terrorismus“ verdächtigt. Trump hatte daraufhin am Freitag die Verdoppelung von US-Strafzöllen auf türkische Stahl- und Aluminiumimporte angekündigt, was einen Lira-Kurssturz auslöste. Erdogan reagierte am Mittwoch mit einem Maßnahmen-Mix aus neuen Strafzöllen auf US-Produkte, strikteren Bankenvorgaben für Devisengeschäfte und der Andeutung eines Gesprächsangebots. Damit gelang zumindest ein Teilerfolg: Die Lira erholte sich merklich von ihrem Rekordtief.

Wo liegen mittelfristig die Ursachen für die schwierige ökonomische Lage? Grundsätzlich ist die Türkei ein boomendes Land. 2017 wuchs die Wirtschaft um sieben Prozent. Allerdings ist es ein Wachstum, das über Auslandskredite und öffentliche Gelder finanziert wurde. Regierung und Zentralbank haben nach dem gescheiterten Putsch 2016 massiv Geld in die Wirtschaft gepumpt, um eine Rezession zu verhindern. Dies gelang, doch danach wurden die Maßnahmen nicht wieder zurückgefahren. Dadurch entstand eine Kreditblase und die Inflation galoppierte davon – die Inflationsrate kletterte auf aktuell 17,8 Prozent. Privatleute und Firmen haben sich zudem massiv im Ausland verschuldet. Die Zentralbank verzeichnet eine Auslandsverschuldung in Höhe von 194 Milliarden Euro. Die fallende Lira erschwert es den Kreditnehmern, ihre Verbindlichkeiten zu bedienen. Trotz des Wirtschaftswachstums ist die Arbeitslosigkeit mit rund elf Prozent hoch, insbesondere die Jugendarbeitslosigkeit wächst. Die Frauenerwerbstätigkeit liegt bei nur rund 30 Prozent. Der Putschversuch hat Investoren und Touristen abgeschreckt. In diesem Jahr flohen sie regelrecht aus der Türkei, was den Lira-Verfall beschleunigte.

Droht der Türkei ein Staatsbankrott? Das ist nicht ausgeschlossen, wenn etwa Trump die Sanktionen weiter verschärfen würde. Denn kein anderes Land der Welt ist so abhängig von ausländischem Kapital. Die Türkei importiert konstant mehr als sie exportiert, wodurch das Leistungsbilanzdefizit stieg, 2017 betrug es 5,5 Prozent der Wirtschaftsleistung. Das Defizit kann aber nur finanziert werden, wenn permanent Kapital ins Land strömt, derzeit 176 Millionen Euro pro Tag. Da der Zustrom versiegt, müsste die Zentralbank längst gegensteuern. „Akut kann die Türkei mit Zinserhöhungen durch die Notenbank oder mit Kapitalverkehrskontrollen vorgehen“, sagt der Wirtschaftsweise Lars Feld. Bisher hat Erdogan Zinserhöhungen aber ausgeschlossen – aus Angst um das Wachstum.

Was geschieht, sollte die Türkei pleitegehen? Die Staatspleite eines so großen Schwellenlandes könnte einen Dominoeffekt und eine Weltwirtschaftskrise auslösen, die insbesondere exportorientierte Länder wie Deutschland nach unten ziehen würde. Der Internationale Währungsfonds (IWF) könnte der Türkei beispringen, allerdings steht der IWF stark unter US-Einfluss. „Wenn geldpolitische Akutmaßnahmen nicht helfen, führt kein Weg an einem IWF-Programm vorbei, wobei unklar ist, ob die USA dies nicht verhindern würden“, sagt Ökonom Feld.

Wieviel Geld würden deutsche Banken im Fall eines Staatsbankrotts verlieren? Ende vergangener Woche gab die Bundesbank bekannt, dass rund 21 Milliarden Euro an Krediten deutscher Banken in der Türkei liegen. Eingerechnet sind Forderungen von in Deutschland tätigen Auslandsbanken. Die Forderungen der inländischen Banken belaufen sich auf nur 14 Milliarden Euro. Die Forderungen deutscher Banken gegenüber der Türkei machen also weniger als ein Prozent der Auslandsforderungen aus. Eine Bankenkrise droht nicht unmittelbar im Fall einer Staatspleite, aber womöglich über das Engagement anderer Banken, mit denen die deutschen Kreditinstitute in Verbindung stehen.

In welchem Umfang sind deutsche Firmen in der Türkei engagiert? Rund 6500 deutsche Firmen sind mit insgesamt 120.000 Beschäftigten in der Türkei vertreten. Deutschland ist mit einem Investitionsvolumen von 13,5 Milliarden Euro seit 1980 nach den Niederlanden der größte Investor. Für die Türkei ist Deutschland der wichtigste Handelspartner. Umgekehrt gilt das nicht. Von der Krise könnten aber Mittelständler betroffen sein, die etwa Zulieferer-Betriebe in der Türkei nutzen. Durch Inflation und neue Zölle auf in die Türkei gelieferte Waren verteuern sich auch die Zulieferer. Dem steht die Abwertung der Lira entgegen.

Kann die Währungskrise den Euro in Bedrängnis bringen? Der Euro ist durch die Lira-Krise schon in Mitleidenschaft gezogen worden, aber die wirtschaftliche Vernetzung Europas mit der Türkei ist zu gering, um die Gemeinschaftswährung nachhaltig zu gefährden. Gefährlicher sind politische Folgen der Spannungen mit den USA: Würde die Türkei aus der Nato austreten, würde die Bedrohungslage für Europa größer.

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