Istanbul Erdogan will den Hindenburg-Paragrafen

Istanbul · Eine neue Verfassung soll dem türkischen Präsidenten Macht über das Parlament geben.

Normalerweise ist der Inhalt eines Gesetzentwurfes bekannt, wenn eine Partei ihre Parlamentsabgeordneten zur Unterstützung für die Vorlage aufruft. Nicht aber im Fall der geplanten Verfassungsänderung in der Türkei. Die Abgeordneten der Erdogan-Partei AKP wurden eingeladen, ihre Unterschrift für den geplanten Umbau des Staates in eine Präsidialrepublik zu leisten, obwohl die Gespräche über den Text der Verfassungsänderungen noch nicht abgeschlossen sind. Nach Willen Erdogans wird das Amt des Ministerpräsidenten demnach abgeschafft, der Präsident als Oberbefehlshaber der Streitkräfte eingesetzt. Zudem soll er die Kabinettsitzungen leiten und den Staatshaushalt aufstellen. Die Regierung soll lediglich dem Präsidenten verantwortlich sein, nicht mehr dem Parlament.

Nur noch "Details" seien zu klären, meinte Ministerpräsident Binali Yildirim nach einem Treffen mit dem Chef der Rechtspartei MHP, die der AKP zur Mehrheit für die Verfassungsänderung verhelfen soll. Die Parlaments-Beratungen sollen im neuen Jahr beginnen und bis zum Frühjahr abgeschlossen sein. Läuft alles nach Erdogans Plan, werden die Türken im Frühsommer in einer Volksabstimmung über die Abschaffung des parlamentarischen Systems abstimmen.

Recep Tayyip Erdogan könnte dann bis zum Jahr 2029 als Präsident mit weitreichenden Vollmachten regieren. Die noch ungeklärten "Details", von denen Yildirim spricht, haben es in sich. Unter anderem geht es dabei um die Forderungen der AKP, dem Präsidenten das Recht zur Auflösung des Parlaments zu geben. Erdogan greift damit nach einer ähnlichen Machtfülle, wie sie Paul von Hindenburg als Präsident der Weimarer Republik hatte (Hindenburg-Paragraf). Noch sperrt sich die MHP gegen diese Änderungen. Denn nach dem AKP-Modell hätte das Parlament kaum Möglichkeiten, der Macht des Präsidenten etwas entgegenzusetzen - eine potenziell schwerwiegende Schwächung der Gewaltenteilung, sagen Kritiker. Zudem fehlen die Gegengewichte durch politisch starke Bundesstaaten oder eine unabhängige Justiz. Die Medien sind größtenteils auf Regierungslinie.

Die Wähler können sich laut Umfragen bisher nicht so recht für den Plan erwärmen, und auch unter den 317 AKP- und den 40 MHP-Abgeordneten dürfte es in geheimer Abstimmung über den Staatsumbau einige Abweichler geben. Erdogans Amtsvorgänger Abdullah Gül etwa forderte in einem CNN-Interview jüngst das Ende des verhängten Ausnahmezustandes, einen Verzicht auf die Wiedereinführung der Todesstrafe und eine Rückkehr zu demokratischen Reformen.

(RP)
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