Pressestimmen zur Pro-Erdogan-Demo "Der Preis, den die Demokratie zahlen muss"
Der Berliner Tagesspiegel kommentiert die Spannungen zwischen Deutschen und Türken: "Erdogan führt die Türkei in die Diktatur. So sehen das sehr viele Menschen in Deutschland und Europa. Für sie ist alles, was aus Ankara oder Istanbul kommt, wie mit einem Virus infiziert, mit dem Erdogan-Virus, und deshalb suspekt. Auch die Nachbarn mit Wurzeln in der Türkei werden zunehmend unter Generalverdacht gestellt. 'Wir sind Opfer eines Putschversuchs und müssen uns wehren. Europa hat viel Glaubwürdigkeit verspielt (Flüchtlingspolitik) und paktiert mit unseren Feinden (Gülen)'. Das denken viele Menschen in der Türkei und viele ihrer Verwandten in Deutschland - und stellen die deutschen Nachbarn, Politiker und Journalisten unter Generalverdacht. Seit zwei Wochen prallen die unterschiedlichen Wahrnehmungen immer unvermittelter aufeinander. (..)Der Raum für Grautöne und Differenzierungen wird von Tag zu Tag kleiner – und damit der Raum für Politik. Das ist erschreckend und gefährlich."
Süddeutsche Zeitung: "An die Beurteilung der Huldigungsveranstaltungen für Erdogan in Deutschland muss man zunächst mit politischen und juristischen Kriterien, nicht mit einer sozialtherapeutischen Haltung herangehen. Dennoch darf man fragen, warum so viele Deutschtürken zu einer autoritären Weltsicht neigen, zu Pegida auf türkisch. Eine der Antworten auf diese Frage lautet: gestörte Integration. Diese Störung rechnet sich Erdogan als Erfolg an, weil er Integration als 'Assimilation' verteufelt. Ankara hat, auch mit Auftritten seiner Politiker in Deutschland, Desintegration befördert; es handelte sich um diplomatische Dreistigkeiten."
Die regierungsnahe türkische Zeitung Takvim schreibt zum Verbot einer Video-Zuschaltung des türkischen Präsident Recep Tayyip Erdogan: "Deutschland, das seiner Nazi-Vergangenheit nicht entkommen ist, hat seine Maske fallengelassen. Es unterstützt die putschistische Fetö-Bande (gemeint sind die Anhänger des Predigers Fethullah Gülen), die gegen die Türkei ist. Es hat einmal mehr bewiesen, dass es kein Freund und Verbündeter ist."
Hürriyet titelt: "Demokratie-Demonstration der europäischen Türken" und schreibt weiter: "Türken aus unterschiedlichen EU-Ländern haben sich zu einer Kundgebung für die Demokratie und gegen den Putschversuch im deutschen Köln getroffen."
Die Kölnische Rundschau schreibt: "Brenzlig wurde es gestern wie erwartet nicht bei der Großkundgebung der Erdogan-Anhänger am rechten Rheinufer. Deren Veranstaltung war gut organisiert und verlief weitgehend friedlich. Für Krawall sorgten einmal mehr die rechten Demonstranten, die dem Aufruf von 'Pro NRW' gefolgt waren und die allgemeine Gemengelage für ihre abstrusen Ziele ausnutzen wollten. (...) Ein friedlicher Sonntag, so könnte also das Fazit lauten. Zu dieser Erkenntnis gehört aber auch, dass dafür ein immenser Aufwand nötig war. Nur so ist es gelungen, hier das Demonstrationsrecht für Menschen zu garantieren, die ihrerseits Anhänger desjenigen sind, der eben dieses Recht in der Türkei mit Füßen tritt. Das mutet wie bittere Ironie an. Aber es ist der Preis, den die Demokratie zahlen muss."
Die Welt kommentiert: "Anregungen, wer sich in der türkischen Innenpolitik engagieren wolle, könne gerne in die Türkei zurückgehen, klingen zwar logisch. Aber die Zeitungsverbote in der Türkei mit Versammlungsverboten in Deutschland zu beantworten und den massenhaften Rauswurf von Richtern, Journalisten und Lehrern dort mit dem Rauswurf von Türken und Deutschen türkischer Abstammung hier - das wäre eine unzureichende Antwort. Wir sind nicht so wie Erdogan. Geht doch rüber - das war vor 1989 die Empfehlung an DKP-Mitglieder. Sie ersetzte aber nicht den unbedingten Willen, den Wettkampf zwischen Demokratie und Diktatur in der Bundesrepublik selbst zu gewinnen. Er ist schwer, er dauert lang, aber er ist nicht von vornherein verloren - auch nicht gegen eine Diktatur, die sich auf den Islam beruft."
Der belgische De Standaard schreibt: "Es zeugt von der Stärke der deutschen Demokratie, dass trotz aller Spannungen und der realen Gefahr von Gewaltausbrüchen eine Kundgebung genehmigt und Steuerzahlergeld eingesetzt wurde, um sie sicher und ruhig verlaufen zu lassen. Aber zu dieser Stärke gehört es auch, Grenzen zu setzen. Die gegebenen Umstände waren nicht dazu angetan, ein ausländisches Staatsoberhaupt, das bereits wiederholt aufrührerische Reden gehalten hat, live vor einer aufgeheizten Masse sprechen zu lassen. (...) Die Kölner Polizei, die zu Jahresbeginn noch heftig kritisiert worden war, zeigte gestern, dass sie zur richtigen Abwägung zwischen Freiheit und Sicherheit in der Lage ist."
Die Cumhuriyet kommentiert die Erdogan-Demo so: "Neue Krise mit Deutschland – Die Stadt Köln hat gestern einen der angespanntesten Tage erlebt. (...) Der Sprecher des Staatspräsidenten will von Deutschland eine Stellungnahme zu dem "wahren Grund" für die Entscheidung, Erdogan nicht per Live-Zuschaltung zu den Demonstranten sprechen zu lassen. Ankara hat scharf darauf reagiert, dass Erdogan bei der Demonstration in Köln nicht sprechen durfte."
Die Stuttgarter Zeitung schreibt zur Kölner Erdogan-Kundgebung: "Es ist niemand gehindert, dem Präsidenten seines Heimatlandes zu huldigen, ob uns dessen despotisches Gebaren nun gefällt oder nicht. Und aus dem Umstand, dass Menschen fremder Herkunft die politischen Verhältnisse in der Region, aus der sie stammen, nicht gleichgültig lassen, muss nicht zwangsläufig ein Loyalitätskonflikt entstehen. Das rechtfertigt aber keineswegs den Import des innertürkischen Konflikts nach Deutschland. Wer das im Sinn hat, der muss sich fragen lassen, ob er nicht besser die Koffer packen sollte."
Die Nürnberger Nachrichten kommentieren zur Großdemonstration in Köln: "Es ist nicht hinnehmbar, dass seine Anhänger nun mit staatlicher Rückendeckung die aggressive Tonlage gegen die vermeintlichen Putschisten rund um die Gülen-Bewegung hierher importieren und die Stimmung anheizen. Unsere Behörden sind auch keineswegs Befehlsempfänger Erdogans, die auf Geheiß von Ankara gegen Regimekritiker vorgehen. Es bedarf deutlicherer Worte auch der Kanzlerin, um dies dem Sultan am Bosporus klarzumachen."
"Demokratie-Wache im Ausland", heißt es bei Milliyet. "Trotz des Regens nahmen 45.000 Menschen an der Demonstration teil. Das Bundesverfassungsgericht hatte die Live-Zuschaltung des Staatspräsidenten Erdogan untersagt. Der Sprecher des Staatspräsidenten sagte: ,Wir erwarten eine Erklärung.'"
Thüringische Landeszeitung: "Es war schon in den vergangenen Jahren der Fall, dass Erdogan und die Seinen auf deutschem Boden Wahlkampf machten. Das hat auch deshalb so gut funktioniert, weil die erste und zweite Generation sogenannter Gastarbeiter zum Teil hier immer nur gelebt und gearbeitet hat, mit dem Herzen aber ganz in der Türkei geblieben war - einer Türkei, die oft ganz anders war als das zeitweilig moderne Istanbul. Mit Erdogan haben viele einen Präsidenten nach ihrer Art. Und die anderen, die die Situation kritisch sehen? Die halten im Zweifel aus gutem Grund den Mund. Hat sich doch gezeigt, dass der Arm der Erdogan-Freunde lang ist."
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