Christoph Waltz mal ganz menschlich

In dem barocken Ausstattungsdrama "Tulpenfieber" spielt der 61-Jährige neben Alicia Vikander.

Holland und das Tulpenmeer, das war natürlich nicht immer so. Vor 400 Jahren waren die Niederlande noch völlig tulpenfrei, die Pflanze musste sich das Land erst erobern. Wie sie das schaffte, reicht für eine dramatische Geschichte. Jedenfalls wenn es nach dem Historiendrama "Tulpenfieber" geht.

Ziemlich, naja, blumig, erzählt der Film von einem echten Kuriosum in der europäischen Geschichte. Um 1634 geriet Holland in den Griff einer Tulpenmanie, die mit der Zeit bizarre Ausmaße annahm. In Amsterdams Spelunken gingen die aus dem Osmanischen Reich eingeführten Blumenzwiebeln zu horrenden Preisen über die Ladentheken. Seltene, vor allem gestreifte Exemplare wurden auf dem Höhepunkt des Fiebers gegen Diamanten oder ganze Grachtenhäuser eingetauscht, bis der Markt 1637 quasi über Nacht implodierte. Diese so genannte "Mutter aller Börsenblasen" verschmolz die Britin Deborah Moggach 1999 in ihrem historischen Roman "Tulpenfieber" ordentlich süffig mit der Geschichte einer verbotenen Liebe. Nach einem Drehbuch von Oscarpreisträger Tom Stoppard ("Shakespeare in Love") setzte der - im Kostümgenre stabil vorgebildete - Regisseur Justin Chadwick ("Die Schwester der Königin") das Buch nun um.

1636 wird die im Kloster aufgezogene Waise Sophia (Alicia Vikander) von ihrer geschäftstüchtigen Oberin (Judi Dench) dem reichen Witwer Cornelis Sandvoort (Christoph Waltz) als Ehefrau und Gebärmaschine übergeben. Aber obwohl Sophia sich pflichtschuldig Nacht für Nacht Cornelis' tragikomisch peinlichen Bemühungen ausliefert ("Mein kleiner Soldat steht aber schön stramm heute Abend!"), wird sie nicht schwanger. Eines Tages bestellt Sandvoort den jungen Maler Jan van Loos (Dane DeHaan) ins Haus. Er soll das Ehepaar porträtieren. Vor dem Ende der ersten Sitzung sind Sophia und Jan einander schon verfallen. Bald schmieden die zwei einen irren Fluchtplan, um Sandvoort zu entkommen. Er beinhaltet eine äußerst rare Tulpenzwiebel, eine vorgetäuschte Empfängnis, einen bestechlichen Arzt (witzig: Tom Hollander) und Sophias unfreiwillig schwangere Magd Maria (Holliday Grainger).

Der noch von Harvey Weinstein produzierte Film war im Kino kein Erfolg, was ein bisschen ungerecht ist: Eine derart prachtvolle Schmachtschnulze gab es im vergangenen Jahr sonst nirgendwo zu sehen. Klar findet Chadwick nicht immer den richtigen Ton zwischen schwerem Drama und trivialer Romanze. Klar war die Oscarpreisträgerin Alicia Vikander schon mal ausdrucksvoller.

Und Shootingstar Dane DeHaan ("Valerian", "A Cure for Wellness") hatte 2017 ganz bestimmt bessere Rollen als diese. Aber es ist lange her, dass ein Film sich so hemmungslos hineingeworfen hat in Ausstattungskitsch und Brokat und goldenes Kerzenlicht. Angelaufene Buntglasfenster, gegen die zarte Frauen sich verträumt lehnen, Tulpe in der Hand, Weinrot auf Elfenbein auf Kobaltblau. Chadwick filmt Szenerien wie aus den Pinseln der alten flandrischen Meister.

"Tulpenfieber" bringt also im Übermaß mit, was sich für ein barockes Ausstattungsfest gehört: Innendekor, Zeitkolorit und schöne Gesichter. Die Stadt Amsterdam malt Chadwick als Kontrast dazu als Moloch in dreckigen Braun- und Gelbtönen, vollgestopft mit verlausten Fischern und Säufern. Mitten hinein tupft er wie eine Zierblüte die makellos ausgeleuchtete Vikander.

So sind es die kleineren Parts, die die große Liebesgeschiche unterhaltsam machen. Die Rolle der gerissenen Klosteroberin wurde Dame Judi Dench auf den Leib geschrieben. Model Carla Delevingne legt einen kleinen, aber prägnanten Auftritt als diebische Hure hin, "Hangover"-Sidekick Zach Galifianakis schafft dasselbe als Jans Diener. Und da ist noch Christoph Waltz, dessen Harlekinslächeln man ja mit der Zeit fast schon über hatte. Hier brilliert er wieder, mit seiner subtilsten Rolle seit Jahren.

Waltz' gehörnter Kaufmann ist nach dieser Bilderorgie die eine Figur, die einem nicht als atmendes Vermeer-Porträt im Kopf bleibt, sondern als echter Mensch.

(wie)
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