Spionage-Affäre US-Geheimdienstler muss Deutschland verlassen

Berlin · Die Bundesregierung reagiert nach langem Zögern mit einer diplomatischen Ohrfeige auf die Spionage der US-Geheimdienste in Deutschland: Der oberste Geheimdienstler der Amerikaner in Berlin muss Deutschland verlassen.

Diese Geheimdienste sind in Deutschland aktiv
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Foto: dpa, nar cul

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) kritisierte die USA ungewöhnlich scharf. Wenn man den gesunden Menschenverstand einschalte, sei das Ausspionieren von Verbündeten "letztlich Vergeudung von Kraft". Finanzminister Wolfgang Schäuble sprach sogar von "Dummheit". Regierungssprecher Steffen Seibert begründete den drastischen Schritt am Donnerstag mit den Ermittlungen gegen zwei mutmaßliche Spione der USA beim Bundesnachrichtendienst (BND) und im Verteidigungsministerium und den Spähaktionen der NSA. Damit ist das deutsch-amerikanische Verhältnis auf einem neuen Tiefpunkt angelangt.

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US-Regierung schweigt

Das Weiße Haus will sich nicht zu der Entscheidung der Bundesregierung äußern, den offiziellen Vertreter der US-Geheimdienste in Deutschland zur Ausreise aufzufordern. "Wir haben diese Berichte gesehen und keinen Kommentar zu einer angeblichen Geheimdienstangelegenheit", sagte die Sprecherin des Nationalen Sicherheitsrats von Präsident Barack Obama, Caitlin Hayden, am Donnerstag. Das Weiße Haus betonte allerdings die "sehr wichtige" Sicherheits- und Geheimdienstpartnerschaft zwischen beiden Ländern, die "den Schutz von Deutschen und Amerikanern gewährleistet". Eine Fortsetzung der Zusammenarbeit in diesem Bereich sei "unerlässlich", sagte Hayden. Die USA würden mit der Bundesregierung "über angemessene Kanäle" weiter in Kontakt sein. Ähnlich äußerte sich die US-Botschaft in Berlin. Als Reaktion auf die jüngsten Spionagevorwürfe hatte die Bundesregierung am Donnerstag ihre Zurückhaltung gegenüber Washington aufgegeben und den obersten Repräsentanten der US-Geheimdienste in Deutschland zur Ausreise aufgefordert. Dieser sogenannte Legalresident ist an der US-Botschaft in Berlin angesiedelt und für die Kontaktpflege zu den deutschen Diensten zuständig.

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Foto: dpa, Jerome Favre

Sofortige Ausreise

Der US-Repräsentant für die Geheimdienste soll die beiden mutmaßlichen Spione geführt haben. Sollte er der Aufforderung zur Ausreise nicht nachkommen, würde er von der Regierung zur unerwünschten Person ("persona non grata") erklärt. Dann müsste er innerhalb einer Frist - normalerweise 72 Stunden - zwingend das Land verlassen. Das wäre dann eine formelle Ausweisung.

Ausweitung der Spionageabwehr

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Foto: dpa, Julian Stratenschulte

Innenminister Thomas de Maizière kündigte als weitere Konsequenz die Ausweitung der deutschen Spionageabwehr an. Die von den mutmaßlichen Spionen abgeschöpften Informationen bewertete der CDU-Politiker nach vorläufigen Erkenntnissen zwar als "lächerlich", fügte aber hinzu:
"Der politische Schaden ist dagegen jetzt schon unverhältnismäßig schwerwiegend."

Merkel betonte, in der Geheimdienstarbeit des 21. Jahrhunderts müsse es eine Konzentration auf das Wesentliche geben und nicht nur das technisch Mögliche gemacht werden, "so dass man vielleicht zum Schluss den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sieht". Die aktuellen Probleme in Syrien oder bei der Terrorabwehr seien für sie "absolut prioritär gegenüber der Frage, dass man sich jetzt als Verbündete gegenseitig ausspioniert". Schäuble ging in seiner Bewertung des Agierens der USA noch weiter. Das ist so was von blöd, und über so viel Dummheit kann man auch nur weinen. Deswegen ist die Kanzlerin da auch "not amused"", sagte der CDU-Minister dem Sender Phoenix.

Ärger hatte sich augestaut

In der Bundesregierung hat sich seit einem Jahr massive Verärgerung über das Agieren von US-Geheimdiensten in Deutschland angestaut. Sogar Merkels Handy wurde abgehört. In den vergangenen Tagen wurden mutmaßliche Spionagefälle beim BND und im Verteidigungsministerium bekannt. Beide Informanten sollen für US-Geheimdienste gearbeitet haben. Die Hilfskraft des BND, die für 25 000 Euro Geheimdokumente an den CIA verkauft haben soll, sitzt in Untersuchungshaft. Ein Referent aus der politischen Abteilung des Verteidigungsministeriums ist dagegen auf freiem Fuß, weil kein dringender Tatverdacht besteht.

Wegen der Spionageaffäre telefonierte Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) auch mit seinem US-Kollegen John Kerry. Zum Verlauf des Gesprächs wurden keine Angaben gemacht. Möglicherweise wird es aber bereits am Wochenende ein persönliches Treffen der beiden Außenminister geben: Kerry und Steinmeier wollen beide zu den Atom-Verhandlungen mit dem Iran nach Wien reisen.

Das Parlamentarische Kontrollgremium des Bundestags befasste sich ebenfalls mit der Spionageaffäre. Die Opposition begrüßte anschließend das Vorgehen gegen den US-Geheimdienstler, forderte aber weitere Schritte - wie eine Aussetzung der Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen. Die Bewertung de Maizières der abgeschöpften Informationen als "lächerlich" teilte das Gremium nicht. Die Abgeordneten wollen alle 218 Dokumente prüfen, die von dem BND-Mitarbeiter weitergegeben.

Keinerlei Erkenntnisse gebe es für die zunächst vermutete Ausspähung des NSA-Untersuchungsausschusses durch US-Geheimdienste, sagte der Ausschussvorsitzende Clemens Binninger (CDU). Auf dem USB-Stick des Verdächtigen mit den angeblich den Amerikanern verratenen Unterlagen gebe es lediglich ein Dokument, das den NSA-Ausschuss betreffe. Dabei handele es sich um eine interne Anweisung von BND-Präsident Gerhard Schindler, im Hinblick auf die Ausschussarbeit keine Akten zu vernichten.

Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) begrüßte die Aufforderung zur Ausreise des US-Geheimdienstrepräsentanten: "Ich glaube, es ist richtig, dass die Bundesregierung heute ein ganz klares Zeichen gesetzt hat, dass sie diese Art des Vertrauensbruchs nicht mehr tolerieren wird und dass wir einen Neuanfang miteinander wagen müssen." Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) sagte der "Passauer Neuen Presse" (Freitag) zum schärferen Kurs der Regierung: "Mitarbeiter, die sich an Spionage gegen uns beteiligen, haben nichts mehr in Deutschland verloren. (...) Die Amerikaner müssen endlich damit aufhören, alles und jeden zu überwachen."

(DEU)
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