Düsseldorf "Eine Gesellschaft braucht Orientierung"

Düsseldorf · Der frühere Bundestagspräsident Norbert Lammert diskutierte in Düsseldorf über die Leitkultur.

Der ehemalige Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) ist davon überzeugt, dass eine vielfältige Gesellschaft klare Regeln braucht. Der Begriff "Leitkultur" sei "sperrig, unbequem", fast schon "provozierend", sagte Lammert am Montag bei einem Vortrag an der Volkshochschule Düsseldorf. Die Debatte sei jedoch unvermeidlich.

Insoweit herrschte Einigkeit: Das Thema Leitkultur weckt Diskussionsbedarf. Doch der von RP-Politikchef Martin Kessler moderierte Abend zeigte auch die Spannungen auf, die die Debatte bestimmen. Was macht eine deutsche Leitkultur aus? Wer prägt sie? Gegen welche Kultur grenzt sie sich ab? Und wie viel Individualität lässt sie noch zu?

Lammert mahnte, eine Debatte darüber nicht vorschnell zu verweigern. "Menschen brauchen Orientierungen, weil sie Halt brauchen. Auch Gesellschaften brauchen Orientierungen", sagte Lammert. Ob man das Leitkultur nenne oder anders: Wichtig sei die Botschaft, dass ohne ein Mindestmaß an Verbindlichkeiten eine Gesellschaft nicht funktionieren könne. "Jede Kultur, die sich selbst ernst nimmt, ist eine Leitkultur."

Als langjähriger Chef des Bundestags verwies Lammert dabei auf die Verfassung. Gesetze seien jedoch nicht aus sich heraus wegweisend: "Plausibel werden Erlaubnisse und Verbote erst durch Überzeugung."

Eine Zuhörerin aus dem Publikum berichtete von ihren Erfahrungen als Flüchtlingshelferin. "Ich beobachte, dass sich Einwanderer zu stark in ihre Kultur zurückziehen", berichtete Gitta Arning aus Erkrath. Sie selbst verstehe sich als wohlwollende Begleiterin, sei aber unsicher, inwiefern sie Menschen darauf hinweisen könne, offen für die deutsche Kultur zu bleiben. "Wie viel andere Kultur können wir aushalten?", fragte die pensionierte Lehrerin.

Lammert antwortete, eine Steuerung von Migration sei unverzichtbar, um Parallelgesellschaften zu vermeiden. Je vielfältiger eine Gesellschaft werde, desto dringender sei der Bedarf an Verbindlichkeiten. "Zwei verschiedene Ansprüche können in einer Gesellschaft nicht gleichzeitig gelten", sagte Lammert, wofür er Applaus aus dem Publikum bekam. Als Beispiel nannte er, dass Gleichberechtigung von Mann und Frau und das Vorrecht des Mannes nicht gleichzeitig gelten könnten.

Dass in einer Gesellschaft jeder Einzelne für sich entscheide, sei eine falsch verstandene Liberalität. "Freiheit setzt Bindungen voraus, erst in Bindungen lässt sich Freiheit erfahren", sagte Lammert. Und zur Fortschreibung dieser Bindungen seien alle eingeladen, "die hier leben und bleiben wollen".

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