Niederrhein Werner Thissen: Der Erzbischof auf dem Kiez

Niederrhein · Werner Thissen sollte eigentlich das Schuhgeschäft seines Vaters in Kleve übernehmen. Lust dazu hatte er keine. Und wurde stattdessen lieber Erzbischof von Hamburg.

 Erzbischof Werner Thissen bei der Predigt seiner Amtseinführung am 25. Januar 2003 in der Domkirche St. Marien Hamburg.

Erzbischof Werner Thissen bei der Predigt seiner Amtseinführung am 25. Januar 2003 in der Domkirche St. Marien Hamburg.

Foto: Privat

Der Schüler Werner Thissen hält 1953 in seinem Tagebuch fest: "Es ist langweilig, ein Christ zu sein. Jeder ist Christ. Das ist nichts Besonderes. Wenn ich etwas Besonderes möchte, muss ich in die Mission gehen." Damals ist der gebürtige Klever 14 Jahre alt und Zögling auf dem bischöflichen Internat Gaesdonck nahe der holländischen Grenze. Seinerzeit eine Art Kaderschmiede für priesterlichen Nachwuchs.

Doch Thissen steht der Sinn noch nicht nach Priesterlichem. Nach Fußball schon eher. Schon als kleiner Steppke kickte er mit Leidenschaft. Kleves Trümmergrundstücke waren sein Stadion. Im elterlichen Schuhgeschäft hilft er manchmal, kauft sich von seinem ersten Geld: einen Fußball natürlich. Und schießt ihn prompt in Nachbars Fensterscheibe...

Nach dem Abitur ist Thissen unschlüssig, was er werden soll: Arzt, Jurist, Lehrer? Die Familie erwartet, dass er in den elterlichen Betrieb einsteigt. Und so studiert er zunächst in Köln Wirtschaftswissenschaften, so wie seine ältere Schwester Magdalena. Vier Semester hält er durch, dann ist klar: Das ist nicht sein Weg. Ihn plagt die Frage: "Gibt es im Leben nicht etwas Sinnvolleres, Wichtigeres?" Der junge Thissen folgt dem Rat eines Freundes und versucht es mit Theologie und Philosophie in Münster.

Schon bald fällt der junge Mann im Bistum Münster durch besondere Begabungen auf: Er ist ein durch und durch geistlicher Mensch, ohne dass seine Frömmigkeit mit Enge einherginge. Hinzu kommt ein brillanter Verstand. Eine nahezu kongeniale Mischung aus Geist und Geistlichkeit. Thissen kultiviert seine Liebe zu Musik, Literatur und Kunst. Schreibt Gedichte und Meditationen. Aber der "Schöngeist" lebt nicht im Elfenbeinturm: Als Kaplan 1966 in einer Bergarbeitersiedlung in Dorsten gewinnt er auch die Kumpels für sich — in der Kneipe, beim Gespräch über Fußball. Thissen versteht es immer, andere an seiner Begeisterung für Gott teilhaben zu lassen und ebenfalls zu begeistern. So viel Potenzial bleibt nicht ohne Folgen.

Im Januar 2003 schließlich wird Werner Thissen Erzbischof des Erzbistums Hamburg. Der Sprengel ist mit 32 000 Quadratkilometern zwar das flächenmäßig größte Bistum Deutschlands (umfasst die Bundesländer Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg), doch zählt es mit nur rund 400 000 Katholiken zur Diaspora.

Und es gibt viel zu tun für Erzbischof Thissen: Auf der Agenda stehen ganz oben Ökumene und Integration. Sein Bischofssitz liegt im Multikulti-Viertel St. Georg, wo Prostitution und Drogenhandel nicht weit sind. Doch Thissen profitiert von seiner Gabe, für jeden Menschen das richtige Wort zu finden, und von seiner Volksnähe: Er geht zu den Kaffeetrinken nach dem Gottesdienst ebenso wie zu den Bedürftigen mit den verkorksten Biografien in der Teestube von St. Pauli, wo er sich als "Bruder Werner" Anerkennung erworben hat.

Mit den Menschen im Gespräch sein, über ihre Ängste, Hoffnungen und Wünsche — das ist für Werner Thissen elementar. Ganz gleich wo: ob nun auf dem Hamburger Kiez, in pulsierenden Pfarrgemeinden oder bei seinen Reisen in Entwicklungsländer, wo Thissen in seinem "Nebenjob" als Misereor-Bischof unterwegs ist.

Insofern ist Thissen dann am Ende doch noch irgendwie in der "Mission" gelandet. Seine Mission hat er auf jeden Fall gefunden und ist damit glücklich geworden: Seelsorger sein.

(RP)
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