Alternative zum Inzidenzwert Italiens Corona-Ampel wäre auch für Deutschland gut

Meinung | Düsseldorf · Noch immer richtet Deutschland seine Corona-Maßnahmen fast ausschließlich an den reinen Fallzahlen aus. Wie es anders gehen könnte, zeigt Italien mit seiner Pandemie-Ampel. Warum das Modell besser funktioniert als der Tunnelblick auf Inzidenzwerte.

 Eine rote Ampel leuchtet vor dem Reichstagsgebäude in Berlin bei Nacht.

Eine rote Ampel leuchtet vor dem Reichstagsgebäude in Berlin bei Nacht.

Foto: dpa/Christoph Soeder

Deutschland und Italien haben eines gemeinsam: In beiden Ländern liegt die Zahl der wöchentlichen Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner (Inzidenz) bei ungefähr 160. Doch nun kommt der Unterschied: Während in Italien die Zahlen nach unten gehen, steigen sie nördlich der Alpen drastisch an. Das zeigt schon, dass die Sieben-Tage-Inzidenz nur ein eingeschränkt aussagekräftiger Indikator ist. Die Dynamik des Infektionsgeschehens lässt sie außer Acht. Aber auch die Belegung der Krankenhausbetten, die sich in Italien entspannt, in Deutschland aber verschärft, kommt darin nicht vor – ebenso wie der Reproduktionswert, der angibt, wie viele Menschen derzeit von den Infizierten angesteckt werden.

In Italien werden solche Messzahlen zu einer Farbe innerhalb eines Ampelsystems zusammengefasst und mit bestimmten Maßnahmen versehen. Ist eine Region weiß, ist alles erlaubt (unter Einhaltung der Hygienebestimmungen). Bei Gelb gelten erste Einschränkungen wie das Verbot von Massenveranstaltungen, bei Orange sind alle Läden, Museen, Restaurants und Strände geschlossen, bei Rot dürfen die Bürgerinnen und Bürger ihre Stadt nur mit triftigem Grund verlassen. Außerdem bestehen nächtliche Ausgangssperren.

Zugegeben, das italienische Corona-Management war vor allem zu Beginn der Pandemie und auch in der zweiten Welle nicht sonderlich erfolgreich – mit schrecklichen Folgen für ältere und verletzliche Menschen. Aber das Ampelsystem lässt sich leicht kommunizieren und erlaubt einen flexiblen Umgang mit der Pandemie. Richtig angewandt ist es den einseitigen Inzidenzwerten, wie sie jetzt im neuen Infektionsschutzgesetz geplant sind, deutlich überlegen.

Es ist natürlich leichter von einer Zentrale zu steuern als mit Hilfe einer Ministerpräsidentenkonferenz, bei der einige um die Kanzlerschaft ringen. Aber die deutsche Regierungschefin Angela Merkel hat ohnehin die Pandemie-Bekämpfung stark zentralisiert. Angenommen, der Bundestag beschlösse ein Infektionsschutzgesetz mit Ampeln für die Länder oder Kreise, wäre das mit den Inzidenzwerten vergleichbar. Rot wäre die Notbremse, orange die Warnstufe. Man könnte sogar den Ländern Flexibilität bei gleichwertigen Maßnahmen zur Corona-Bekämpfung einräumen.

Auch Österreich mit seinem föderalen System hat eine Ampel eingerichtet, seit Oktober auch der Freistaat Bayern. Die Vorgaben sind verschieden, aber die Botschaft ist die gleiche: In Zonen mit hohem Risiko sollen Kontakte so weit wie möglich eingeschränkt werden, bei geringerem Risiko sind Öffnungen und auch eine Mobilität zwischen den Zonen möglich. In jedem Fall wäre das System für viele Bürgerinnen und Bürger einsichtiger als die reinen Fallzahlen, die reichlich willkürlich erscheinen.

Bis jetzt ist es in den fünfeinhalb Monaten seit Ende Oktober weder dem Bund noch den Ländern gelungen, trotz eines mehr oder weniger strikten Lockdowns die Zahlen dauerhaft zu senken. Vielleicht schafft da ein Automatismus bessere Ergebnisse. Deutschland will schließlich nicht da enden, wo Italien angefangen hat.

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