Theater mini-art Roadtripp eines „verrückten“ Teenagers

Bedburg-Hau · Der Einakter „Bilder deiner großen Liebe“ in der Inszenierung von kollektiv.plakativ und neverendingstory feierte Premiere im mini-art Theater Bedburg-Hau und präsentierte 70 atemlose Theaterminuten.

 Lucas Sanchez auf der Bühne. Für das Stück, das nicht als leichte Kost gilt, gab es vom Publikum großen Applaus nach der Premiere.

Lucas Sanchez auf der Bühne. Für das Stück, das nicht als leichte Kost gilt, gab es vom Publikum großen Applaus nach der Premiere.

Foto: Evers, Gottfried (eve)

Aus wie vielen „Selbst“ besteht ein „Ich“? Der Einakter „Bilder deiner großen Liebe“ in der Inszenierung von kollektiv.plakativ und neverendingstory gibt Einblicke dazu und feierte Premiere im mini-art Theater Bedburg-Hau. Die Theater-Truppe um Schauspielerin Alina Rohde hat kein eigenes Haus und wählte die Bedburg-Hauer Bühne aus, die bei Kinder- und Jugendtheatern einen exzellenten Ruf hat. insgesamt standen drei Aufführungen im Theater am Brückenweg an.

Keine leichte Kost, die die drei Schauspieler da auf die Bühne brachten. Ein Drama von Robert Koall nach Wolfgang Herrendorfs Vorlage in 70 Minuten, die wenig durchatmen ließen. Alle drei Schauspieler sind nämlich eine Person, Isa(bell): sowohl zwei Männer, als auch eine Frau. Eine Isa also mit drei Anteilen, die die ganze Zeit über sprechen, miteinander, übereinander – eigentlich gar nicht so ungewöhnlich, denn Isa ist ein „verrückter“ Teenager, der die Mauern der psychiatrischen Anstalt verlässt und sich auf einen Roadtrip begibt, den sie – alle drei – durchweg kommentiert.

Drei Zelte werden Begleiter auf der Bühne, mit Klick-und-Schwupps-System blitzschnell umgemodelt zu Wald, Schiff, Erde, Sternenhimmel oder Bahndamm. Live produzierte Klänge mit Stimme und E-Gitarre, Saxophon und Synthesizer machen Atmosphäre, meist eine pulsierende, treibende, aber auch innehaltende Untermalung des inneren und äußeren Isa-Geschehens.

Die Wandlungsfähigkeit dieser einfachen Werkzeuge ist großartig, genau wie die drei, die damit hantieren und keine Zweifel lassen an der Umgebung. Nur Isa selbst ist total zerrissen: Immer wieder grätscht sie in sich selbst hinein, „niemals kommst du da raus“. Auf einem Schiff fährt sie mit, der Kapitän – früher Bankräuber – gibt ihr lebensweise Ratschläge voller Rat und Schlag.

Alles ist in der Tat ver-rückt: In der Nacht läuft Isa, tags schläft sie, sie hört nicht auf das, was sie soll und nimmt Tabletten, wann sie es für richtig hält. Und das ist nicht die einfache Rebellion eines Teenies auf Selbstfindung: Da steckt mehr dahinter. Ohne die Romanvorlage zu kennen, fragt man sich: Woher kommen die Anteile? Hat sich die Persönlichkeit gespalten, als der Vater eine Nacht mit Isa im elterlichen Garten verbringt und sie eng umarmt – worin sie sich geborgen fühlte, aber „seitdem gibt es zwei Welten“? Wo liegt der Startpunkt für diese Reise mit oder ohne Ende, und will sie überhaupt „Heilung“?

Derbe geht’s teilweise zu, ohne Scheu. Im Mittelpunkt nicht nur Isa und Dialoge, sondern auch Beziehungen, die allesamt nicht stabil zu sein scheinen: Isa zur eigenen Familie, zur Anstalt, zum Kapitän, zu ihren Geschichten im Kopf und zu sich selbst. Einmal umarmt ein Anteil ein taubstummes, vielleicht inneres Kind – wer weiß, ob es ein anderer Anteil ist, der genährt werden will.

Es geht auch um Endlichkeit, Selbstzweifel, wie „geistlos, nutzlos, dumm, unmoralisch“ oder „tot“ Isa wohl sei. Wasser über dem Kopf wird zum Dissoziationsstopp; am Ende, wohltuend zurück in der eindeutigen Realität, stehen alle Schauspieler nass, aber gar nicht ausgelaugt, sondern geradezu elektrisiert von der Verve des Roadtrips auf der Bühne.

Die 30 Zuschauer, die ins Theater mini-art zu Coronazeiten passen, spendeten großen Applaus für die gelungene Premiere.

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