Corona in der Schweiz „Die zweite Welle ist da“

Zürich · In der Schweiz schien die Corona-Krise entschärft zu sein. Doch seit Mitte Juni häufen sich die Fälle wieder. Nun gelten neue Einschränkungen: eine Quarantäne für Einreisende aus zwei Dutzend Staaten und eine Maskenpflicht in öffentlichen Verkehrsmitteln. Medizinern kommt sie zu spät.

 Passagiere mit Mundschutz in der U-Bahn von Lausanne am Montag.

Passagiere mit Mundschutz in der U-Bahn von Lausanne am Montag.

Foto: dpa/Laurent Gillieron

Im Club „Flamingo“ ging es hoch her. Trotz einer Covid-19-Erkrankung feierte ein Mann in dem Zürcher Szenetreff kräftig mit. Mindestens fünf Menschen steckten sich an, 300 Gäste und Angestellte mussten in Quarantäne. In den Schweizer Medien sorgte der „erste Superspreader im Kanton Zürich“ Ende Juni für reichlich Wirbel.

Der Vorfall im „Flamingo“ wirft auch ein Schlaglicht auf die Lage in der gesamten Schweiz, wo pro Kopf insgesamt weit mehr Leute an Covid-19 erkrankten und starben als in Deutschland: „Sars-CoV-2-Infektionen nehmen derzeit in der Schweiz mit alarmierender Geschwindigkeit zu“, warnte die nationale Taskforce am Freitag. Insbesondere in Gebieten mit hoher Bevölkerungsdichte sei ein exponentielles Wachstum der Fallzahlen zu verzeichnen.

Diese Geschichte gibt es auch zum Hören - exklusiv für Sie. Abonnieren Sie jetzt unsere RP Audio-Artikel in Ihrer Podcast-App!

Anfang Juli gab es an einem Tag 137 bestätigte neue Fälle – gut zwei Wochen zuvor waren es nur 17 gewesen. Das Bundesamt für Gesundheit glaubt die Verantwortlichen zu kennen: „Seit Mitte Juni ist es wiederholt zu einer Ausbreitung des neuen Coronavirus gekommen, nachdem infizierte Personen eingereist sind.“ Seit Anfang der Woche sinken die Zahlen – ob der Trend stabil ist, bleibt offen.

Die beunruhigenden Nachrichten veranlassten den Tessiner Epidemiologen Andreas Cerny zu einer aufsehenerregenden Aussage: „Die zweite Welle ist da“, sagte er im Blick TV. Nach Ansicht des Notfalldirektors der Weltgesundheitsorganisation, Mike Ryan, handelt es sich beim sprunghaften Anstieg der Zahlen in Ländern wie der Schweiz um die „zweite Spitze in der ersten Welle“.

Da sich die Corona-Lage aber unzweifelhaft verschärfte, konnte auch die Regierung, der Bundesrat, nicht wegschauen. Das Kabinett ordnete neue Einschränkungen an. Seit Montag müssen alle Passagiere ab zwölf Jahren in öffentlichen Verkehrsmitteln eine Schutzmaske tragen. Damit will die Regierung vor allem für den kommenden Reiseverkehr im Sommer gewappnet sein.

Doch einigen Experten kommt die Maskenpflicht in Zügen, Bergbahnen und Bussen zu spät. „Wir haben bereits im April in bestimmten Situationen eine Maskenpflicht empfohlen“, sagte der Epidemiologe Marcel Tanner von der nationalen Taskforce gegenüber dem Portal Nau.ch. Tatsächlich wollte die Regierung monatelang nichts von einer Maskenpflicht wissen – damit machte sie die Schweiz international zum Nachzügler.

Bern beschloss jetzt zudem eine Quarantäne von zehn Tagen für Menschen, die aus bestimmten Risikoländern in die Eidgenossenschaft einreisen. Die „betroffenen Personen“ müssen sich bei den Behörden melden. Das Bundesamt für Gesundheit setzte gleich mehr als zwei Dutzend Staaten auf die Seuchenliste – von Argentinien über Israel und Schweden bis zu den USA.

Die Maßnahmen wecken bei vielen Schweizern ungute Erinnerungen an die Monate Februar und März. Damals breitete sich das Virus schnell im Land aus; die Regierung schränkte schrittweise das öffentliche Leben ein. Bis Juni entspannte sich die Corona-Krise, und der Bundesrat hob mit Wirkung zum 22. Juni die Einschränkungen weitgehend auf. Viele Schweizer hofften seinerzeit, das Schlimmste sei vorüber. Nur zwei Wochen später präsentiert sich die Lage ganz anders.

Doch nicht alle Regierungsmitglieder scheinen jetzt den Ernst der Lage zu erkennen. Finanzminister Ueli Maurer von der rechtskonservativen Schweizerischen Volkspartei räumte in einem Interview offen ein, dass er mit der schweizerischen Warn-App kaum etwas anfangen könne: „Ich verstehe das Zeug nicht.“ Und Masken habe er bislang auf seinen Zugreisen auch nicht getragen. Seit Montag gilt auch für Bundesrat Maurer Maskenpflicht.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort