Botschaften aus Dortmund Was von diesem Kirchentag bleibt

Dortmund · Klimaschutz, Rechtsextremismus, gesellschaftliche Verrohung – der Evangelische Kirchentag hat drängenden Fragen angepackt, doch häufig fehlte bei den Podien die offensive Gegenstimme. Welche Botschaft sendet das Laientreffen aus Dortmund?

 Der Abschlussgottesdienst am Sonntag im Stadion von Borussia Dortmund.

Der Abschlussgottesdienst am Sonntag im Stadion von Borussia Dortmund.

Foto: dpa/Roland Weihrauch

Das große Finale feiern Zehntausende Gläubige mit Blick auf den heiligen Rasen. Wo sonst Borussia Dortmund seine Siege feiert und seine Pleiten betrauert, geht der 37. Evangelische Kirchentag am Sonntag mit einem festlichen Freiluftgottesdienst zu Ende. Im Fußballstadion ruft Kirchentagspräsident Hans Leyendecker den Christen zu: „Dortmund kann Kirchentag.“ Bevor die 32 000 Besucher mit ihren grünen Kirchentagsschals aus der nicht ganz halb gefüllten Arena - und weitere 5000 Menschen aus dem nahe gelegenen Westfalenpark - wieder in Richtung Heimat strömen, mahnt Leyendecker: „Lasst uns gehen und unsere Welt menschenfreundlicher machen!“

Das Treffen vornehmlich sozialliberaler Christen hat in diesen Tagen klar Position bezogen: für einen stärkeren Kampf gegen Rechts, eine humanere Flüchtlingspolitik, einen stärkeren Klimaschutz, Geschlechtergerechtigkeit. Doch bei den Diskussionen fehlte häufig die Kontroverse, die offensive Gegenstimme. Nicht selten debattierten Vertreter einer Mitte-Links-Politik unter sich, man suchte Selbstvergewisserung anstatt harter Debatten. Auf den Podien sei doch manches „ein wenig sehr wohlwollend und im Konsens vorangegangen“, räumte Generalsekretärin Julia Helmke dann auch ein.

Das lag ein bisschen auch daran, dass AfD-Politiker nicht eingeladen waren. Ein umstrittener Beschluss, von Leyendecker eisern verteidigt - und begründet mit einer AfD-„Verbrüderung“ mit Rechtsextremisten. Hochkarätige Vertreter aus dem konservativen Lager der Union waren allerdings auch kaum an Bord - starke Stimmen wie Friedrich Merz oder Ex-Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen (beide CDU) fehlten beispielsweise. Helmke: „Da können wir noch etwas streitbarer werden, und das wollen wir auch.“

Bei dem Glaubensfest mit insgesamt 121 000 Teilnehmern unter dem Motto „Was für ein Vertrauen“ durfte es mitunter auch reines Geplauder sein. So wurde Grünen-Parteichef Robert Habeck, der nicht an Gott glaubt, bei einem Kurzinterview mit Applaus zugeschüttet - ohne inhaltlich viel gesagt zu haben. Beim Kirchentagspublikum, einer Mischung sozial-engagierter Menschen im Spektrum zwischen Rot, Grün und gemäßigtem Merkel-Schwarz, hatte es der schon als neuer Kanzler gehandelte Habeck nicht schwer, zu bestehen, ja gar zu begeistern.

Gleichwohl packte der Dortmunder Kirchentag viele große und drängende Fragen der Zeit an. Das Mittelmeer als „Friedhof der Menschenrechte“ war als ein eindringliches Bild präsent in Dortmund. Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche, Heinrich Bedford-Strohm, und Palermos Bürgermeister Leoluca Orlando appellierten Hand in Hand an die europäischen Länder, gerettete Flüchtlinge aufzunehmen. Die protestantische Laienbewegung setzte ein Ausrufezeichen beim Klimawandel, trat als Verbündeter der „Fridays for Future“-Bewegung auf und verabschiedete eine Resolution, die mehr Einsatz und Tempo im Kampf gegen die globale Klimaerwärmung fordert.

Und: Klare Kante gegen Rechtsextremismus ist eine der Überschriften bei dem Großevent. „Wir haben es heute mit einem neuen Monster zu tun“, betonte Leyendecker. Die Diskussion um die mutmaßlich rechtsextremistisch motivierte Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke (CDU) zog sich durch praktisch alle großen Veranstaltungen. Auch viele hochkarätige Experten und Polit-Prominente sendeten Signale. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) warnte vor „einem vollkommenen Verlust“ der Glaubwürdigkeit in die staatlichen Institutionen, sollte der Fall Lübcke nicht aufgeklärt werden.

Es sei in heute so komplexen Zeiten nicht mehr möglich, sich auf nur ein dominierendes Thema und nur eine einzigen Botschaft zu beschränken, meint Kai Funkschmidt von der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen. „Die Kritik, dass der Kirchentag auch etwas zu stark politisch ist, lässt sich nicht ganz von der Hand weisen.“ Die Veranstaltungen sollten vielmehr eine Brücke schlagen zum Glauben, der Glaubensbezug sei wichtig.

„Christsein heißt nicht, nach allen Seiten so offen zu sein, dass man beliebig wird“, sagt Funkschmidt. „Ich habe schon den Verdacht, dass es etwas ins Beliebige abgleitet.“ Angebote wie „Schöner Kommen“ für Frauen, das reichlich kommentierte „Vulven-Malen“, Kalligrafie-Kurse oder Coming-Out-Veranstaltungen waren belächelt worden. Andererseits: Die Gesellschaft sei vielfältig und das Kirchentagsangebot bilde das ab - was zugleich die Chancen erhöhe, dass jeder Teilnehmer einen persönlichen „Diamanten“ finde und neuen Elan in die kirchlichen Gemeinden mitnehme, sagt Funkschmidt.

Neuen Schwung können die christlichen Kirchen gut gebrauchen, denn ihre Mitgliederzahlen schrumpft arg und stetig. Von 44,8 Millionen im Jahr 2017 sollen laut einer Prognose 2060 noch etwa die Hälfte übrig sein. Mit Blick auf die Basis hofft der Chef des Pfarrerverbands, Andreas Kahnt, dass „die Leute in diesen aufgeheizten Zeiten aus Dortmund eine Kultur mit in die Gemeinden bringen, die wieder mehr auf ein friedliches Miteinander im Alltag hinwirkt“.

(csi/dpa)
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