Borussias Kapitän Stindl im Interview „Auswärts wollen wir immer wieder Ausrufezeichen setzen“

Mönchengladbach · Beim 1:1 auf Schalke am 28. April 2018 verletzte sich Lars Stindl schwer. Über seine Verletzung, die Rückkehr in die Schalker Arena, Borussias Ambitionen und „sein“ Zimmer im Borussia-Hotel sprach Gladbachs Kapitän im Interview mit unserer Redaktion.

Die Arena in Gelsenkirchen weckt bei Lars Stindl Erinnerungen. Zum einen, weil Borussias Kapitän 2015 beim 2:0-Sieg im Pokal dort das  1:0 für die Borussen machte, zum anderen aber auch, weil er sich im April beim 1:1 schwer verletzte.

Herr Stindl, am Mittwoch wird das neue Gebäude mit dem Hotel im Borussia-Park eröffnet. Da gibt es Themenzimmer, und eines ist dem Europa-League-Sieg in Florenz 2017 gewidmet. Illustriert ist es mit einem Bild von Ihnen. Wie fühlt sich das an?

Lars Stindl Es ist eine große Ehre, in einem Klub wie Borussia so eine Wertschätzung zu erfahren. Wenn man sieht, wer in den Zimmern noch so abgebildet ist, ist das schon toll, dort verewigt zu sein.

Das bedeutet, dass in Ihrer bisherigen Zeit in Gladbach bemerkenswerte Dinge passiert sind.

Stindl Auf jeden Fall. Es gab viele besondere Momente, unter anderem haben wir zum ersten Mal Champions League gespielt. Auch für mich persönlich war einiges dabei: Das erste Gladbacher Champions-League-Tor gegen ManCity, die Ehre, hier Kapitän zu sein, zudem bin ich hier Nationalspieler geworden und habe mit dem deutschen Team den Confed-Cup gewonnen.

Und all das in der Spätphase Ihrer Karriere. Haben Sie damit gerechnet?

Stindl Rechnen kann man im Fußball mit gar nichts. Man hofft auf solche Erfolge, wenn man ein junger Spieler ist. Meine Karriere hat sich immer stetig entwickelt, ich habe immer die richtigen Schritte und Vereine gewählt. Bei Borussia habe ich dann das absolute Non-Plus-Ultra nochmal rausgeholt. Es ist bisher klasse gelaufen. Und aktuell bin ich ein Teil dieser tollen Saison.

Es war zu hören, dass vor Ihrem Wechsel zu Gladbach auch Schalke ein Thema war. Wäre es anders gelaufen, würden Sie am Samstag, wenn sich beide Klubs um 18.30 Uhr treffen, womöglich jetzt auf der anderen Seite stehen?

Gladbachs Lars Stindl: Rückkehr zum KSC -  eine Karriere in Bildern
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Die bisherige Karriere von Lars Stindl

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Foto: Dirk Päffgen Paeffgen (dirk)

Stindl Richtig konkret war der Kontakt zu Schalke nie. Es wird ja immer viel geschrieben und geredet. Es war relativ früh klar mit der Borussia.

Das letzte Spiel auf Schalke, das 1:1 am 28. April, war aber einschneidend für Ihre Karriere: Sie haben sich schwer verletzt und deswegen vielleicht die WM verpasst. Fahren Sie mit einem mulmigen Gefühl dorthin?

Stindl Nein. Ich musste die Erfahrung leider machen, aber das ist abgehakt. Die Verletzung ist ausgeheilt, toi, toi, toi. Ich freue mich auf das Spiel, gegen Schalke sind es immer sehr enge und interessante Spiele.

Es ist auch das Treffen zweier Philosophien: Gladbach gilt als Team, das immer alles spielerisch lösen will, Schalke kommt eher über die Maloche.

Stindl Die Schalker haben eine sehr gute letzte Saison gespielt. Bislang läuft es in der Bundesliga noch nicht optimal, aber inzwischen sind sie immerhin auch seit drei Ligaspielen ungeschlagen, und in der Champions League haben sie sich souverän für die nächste Runde qualifiziert. Daher können wir davon ausgehen, dass es nicht leicht wird. Schalke wird am Samstag alles dafür tun, zu gewinnen und wir müssen voll dagegenhalten.

Wären es Big Points, die man auf Schalke holen würde?

Stindl Erst mal gibt es auch dort „nur“ drei Punkte zu gewinnen. Aber wir wollen auswärts immer mal wieder ein Ausrufezeichen setzen. In Leverkusen haben wir das geschafft, nun wollen wir das auch auf Schalke tun. Weil uns das schon einige Mal gelungen ist, stehen wir auch so weit oben in der Tabelle.

Wird Schalke mehr Respekt vor Gladbach haben als umgekehrt?

Stindl Man hat immer Respekt vor einem Gegner. Das hatten wir auch vor dem FC Augsburg, und es hat sich gezeigt, wie schwer es war. Schalke hat eine enorme Qualität, gerade im eigenen Stadion.

In Leverkusen war es ein Sieg der Defensive, gegen Augsburg war die Offensive gefragt. Wie wird es auf Schalke sein?

Stindl Grundsätzlich muss beides passen. Wir wollten auch in Leverkusen mehr spielerische Akzente nach vorn setzen, das ist uns leider nur in der ersten Halbzeit gelungen. Auf Schalke brauchen wir Stabilität, wollen aber auch unsere spielerischen Merkmale wieder einbringen. Wir werden vielleicht den einen oder anderen Raum mehr bekommen, den wir dann besser bespielen müssen als gegen Augsburg. Da sind wir aber beharrlich geblieben und wenn man viele Situationen kreiert, dann fällt auch mal einer runter, wie es dann auch passiert ist.

Die Abwehr steht sehr stabil, das ist auch eine Grundlage der Geduld, die gegen Augsburg an den Tag gelegt wurde und Borussia in dieser Saison auszeichnet.

Stindl Das gibt uns natürlich viel Selbstvertrauen. Wir haben das auch nochmal im Trainingslager angesprochen, dass uns diese Stabilität stark gemacht hat in der Vorrunde.

Gehört das Pressing zur Verteidigung?

Stindl Wir treffen da viele richtige Entscheidungen, zudem haben wir hinten eine große Präsenz und einen Torhüter, der eine starke Saison spielt. Das tut dem Gefüge sehr gut. Gut ist auch, dass wir vorn in der Lage sind, jetzt mal aus dem Nichts Tore zu machen. Das kann man natürlich an der Personalie Alassane Plea festmachen. Er hat uns nochmal einen Schub gegeben, ist unfassbar torgefährlich, ist kreativ und bringt sich auch defensiv gut ein. Man kann es nicht allein an einer Person festmachen, wir haben vorher auch in unterschiedlichen Konstellationen schon oft viele Tore erzielt und berauschende Spiele gemacht. Wir haben jetzt eine sehr gesunde Struktur von gutem Verteidigen und effektivem Offensivspiel.

Ist Borussia erwachsen geworden im Vergleich zur Vorsaison?

Stindl Wir haben immer noch eine sehr junge Mannschaft, haben aber das eine oder andere aus den Situationen der Vergangenheit gelernt: Dass wir geduldiger sein müssen in der einen oder anderen Situation und dass wir an das, was wir tun, glauben müssen.

Wie definieren Sie Ihre Rolle? Sie sind auf dem Papier der Mittelstürmer.

Stindl Aber ich bin nicht der klassische Mittelstürmer, das weiß ich. Ich interpretiere die Position ein bisschen anders, versuche Überzahl im Mittelfeld und auf den Außenbahnen zu schaffen und Bindeglied zu sein, und die Räume zwischen der gegnerischen Viererkette und dem Mittelfeld zu besetzen, wie in Leverkusen bei dem Tor.

Ein Platzschaffer für die Außen, die beide gern in die Mitte ziehen.

Stindl Das kann  man so sagen, sie stoßen in die Räume, die ich frei mache. Sie werden von unseren offensiven Mittelfeldspielern auch gut eingesetzt. Das macht uns in dieser Saison unberechenbarer. Wir haben die Abläufe im Training geschärft und haben die Spieler für diese Systematik.

Die Systematik führt dazu, dass sich Borussia immer wieder mit dem Thema Champions League konfrontiert sieht. Was sagt der Kapitän dazu?

Stindl Wir sind auf Kurs, eine sehr gute Runde zu spielen. Wir haben die höchstmöglichen Erwartungen an uns selbst, wollen jedes Spiel gewinnen. Es gibt in der Bundesliga mit Borussia Dortmund und dem FC Bayern zwei Teams, die die Aushängeschilder sind. Dahinter gibt es viele Mannschaften, die Qualität haben, dazu gehören wir. Aber jetzt schon Gedanken daran zu verschwenden, was alles sein kann im Sommer, würde uns zu viel Energie rauben. Was ich versichern kann: Wir sind eine sehr ehrgeizige Mannschaft. Aber wir befassen uns nur mit dem Hier und Jetzt. Das können wir beeinflussen, alles andere nicht. Mit dem Ansatz fahren wir gut.

Ist Borussia dabei, Geschichte zu schreiben?

Stindl Wir haben in 14 Tagen gegen Hertha BSC die Möglichkeit, ein Teil der Geschichte zu werden, wenn wir gewinnen.

Es wäre der 13. Heimsieg, damit würde das Team der Saison 1983/84, das damals zwölf Heimsiege am Stück schaffte, überholt. Es würde ja passen, wenn die 13 das entscheidende Tor macht …

Stindl (hat die Rückennummer 13) Ich hätte nichts dagegen. Aber erst mal müssen wir unseren Job machen. Trotzdem: Mit einem der großen Borussen-Teams in einer Statistik zu stehen und es vielleicht sogar übertrumpfen zu können, das wäre schon etwas ganz Besonderes.

In der Saison 1983/84 war das Team, dessen Rekord die aktuelle Mannschaft nun streitig macht, Dritter.

Stindl Das sind schöne Statistiken. Aber durchzudrehen, dazu hat niemand bei uns einen Drang. Die einzige Statistik, die zählt ist, dass wir nach 19 Spielen 39 Punkte haben.

Zurück zu den Gefühlen: Kommt im Borussia-Park so langsam das Gefühl der Unbesiegbarkeit auf?

Stindl Wir haben ein sehr gutes Gefühl, hier zu Hause zu spielen. Wir haben ein gewisses Selbstvertrauen, dass wir jeden schlagen können, ob wir gleich in Führung gehen, ob wir zurückliegen oder es auch mal zäh ist. Wir haben alle Facetten gezeigt und haben alle gemeistert. Das ist hilfreich.

Wie bewerten Sie die bisherige Auswärtsbilanz?

Stindl Ordentlich. Wir haben auswärts Ausrufezeichen gesetzt, die, wenn man zu Hause alle Spiele gewinnt, die Sache vergolden. Wir haben in München, Bremen und Leverkusen gewonnen, das zeigt uns, dass wir bei starken Gegnern etwas erreichen können. Die Niederlagen in Berlin oder Freiburg haben uns aber auch gezeigt, dass man in jedem Stadion der Bundesliga immer alles geben muss, wenn man etwas mitnehmen will. Darum müssen wir am Samstag gegen eine robuste Schalker Mannschaft alles reinhauen und unser Spiel durchzuziehen.

Mit Tobias Strobl haben wir zuletzt über die Hierarchie im Borussen-Kader gesprochen. Er hat Sie als Kapitän an die Spitze gesetzt. Wie interpretieren Sie Ihre Chef-Rolle?

Stindl Wir haben einen sehr starken und erfahrenen Mannschaftsrat, in dem wir gut im Austausch sind. Es sind Leute dabei, die klare Meinungen und ein gutes Miteinander haben. Das gibt dem Team ein gutes Gefühl. Wichtig ist auch, dass trotz der teilweise schwierigen Personalentscheidungen keine Probleme im Team entstehen. Dass Spieler, die nicht spielen, unzufrieden sind, ist doch klar, aber es wird nicht am Team ausgelassen. Das zeichnet uns aus.

Das spricht für die These, die auch die Fairness-Tabelle belegt: Borussia hat eine liebe Mannschaft. Stimmt das?

Stindl Was die Fairness-Tabelle angeht: Vielleicht schätzen wir einfach viele Zweikämpfe richtig ein. Wir wollen aber grundsätzlich nicht so viele Fouls machen, weil viele Teams stark bei Standards sind. Wir haben generell kein Problem damit, auch mal aggressiver und härter zu spielen, aber von Haus aus sind wir eine spielerisch orientierte Mannschaft. Was aber nicht heißt, dass es bei uns nicht auch mal zur Sache geht und etwas hitziger wird.

Auf Schalke sollte der aggressive Teil von Borussia etwas ausgeprägter sein.

Stindl Wir haben schon das eine oder andere Spiel gewonnen, in dem wir über den Punkt gehen mussten. Eine gewisse Grundaggressivität brauchst du in jedem Spiel. Das wissen wir. Und wenn unser Spiel dann auch noch so funktioniert, wie wir uns das vorstellen, ist die Wahrscheinlichkeit höher, erfolgreich zu sein.

Aggressivität und Härte sind auch Merkmale des Handballsports. Sie und andere Kollegen haben die WM verfolgt und Spiele live gesehen. Nun wurde im Zuge der WM oft gesagt, die Handballer seien die besseren Sportler im Vergleich zu den Fußballern. Nervt Sie so etwas?

Stindl Nein. Grundsätzlich freuen wir uns über den erfrischenden Auftritt, der ja auch viele Fußballer gepackt hat. Ich war gegen Kroatien selbst vor Ort und total begeistert von der Stimmung. Es wäre schön, wenn da der Funke überspringt und sich viele junge Leute auch für den Handball entscheiden.

Trotzdem: Sind die Handballer die härteren Jungs?

Stindl Beim Handball werfen die Jungs alles rein, sie gehen an die Grenzen. Es ist körperbetonter, aber in einer anderen Weise. Auch der Fußball ist körperbetont, aber es hält sich im Vergleich in Grenzen, weil das Feld größer ist und die intensiven Spielsituationen dadurch weniger oft vorkommen. Aber wenn ich an Strafraumsituationen denke: Da wirft auch jeder alles rein, um zum Beispiel ein Tor zu verhindern. Aber es gibt die Situationen nicht so häufig wie im Handball, wo es fast bei jedem Torabschluss richtig zur Sache geht.

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