„Ernsthafte Störung“ Die Lage für Merkel und Scholz in der Luft war brenzlig

Köln · Dass die Kanzlerin auf ihrem Weg zum G20-Gipfel vor dem Atlantik mit ihrer Maschine umkehren musste, hatte technische Gründe. Warum das Kommunikationssystem aber komplett ausgefallen ist, ist unklar. Es wird in alle Richtungen ermittelt, das schließt einen kriminellen Hintergrund mit ein.

Landung von Angela Merkel in Köln - die Bilder vom Flugzeug
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Angela Merkel muss unplanmäßig in Köln landen

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Foto: dpa/Jörg Blank

Es ruckelt im Flieger, nichts Ungewöhnliches. Über Lautsprecher werden die Passagiere gebeten, sich hinzusetzen und anzuschnallen. Aber weil die Bundeskanzlerin gerade in einem Besprechungsraum der Luftwaffe-Maschine „Konrad Adenauer“ die mitreisenden Journalisten über die Ziele der Bundesregierung beim G20-Gipfel in Buenos Aires informiert, geht es noch recht locker zu. Irgendwann legt Merkel nach nochmaliger Aufforderung den Gurt um, neben ihr sitzt Finanzminister Olaf Scholz, doch bevor der Vizekanzler es der Regierungschefin gleich tun kann, kommt eine Flugbegleiterin mit angespanntem Gesichtsausdruck herein und bittet Merkel hinaus. Dass es so etwas je gab, daran kann sich keiner erinnern. Allen ist sofort klar, es muss etwas passiert sein.

Im Nachbarraum sitzt ihr Mann Joachim Sauer, der öffentlichkeitsscheue Quantenchemiker. In der langen Karriere seiner Frau ist er nur selten mitgeflogen. 2017 war er mit Merkel Gastgeber des G20-Gipfels in Hamburg und hat das Partnerprogramm angeführt. In Buenos Aires soll es ein Wiedersehen geben. Doch dazu kommt es nicht.

Merkel erfährt gegen 20 Uhr, eine Stunde nach Abflug von Berlin, dass es technische Probleme gibt. Mehrere elektronische Systeme des Flugzeugs seien ausgefallen, heißt es. Der Pilot entscheidet sich zur Umkehr. Kurz hinter Amsterdam, bevor es in Richtung Atlantik geht, dreht er ab. Die Air-Show zeigt an, dass das Flugzeug noch eine Bewegung in Richtung Meer macht und dann aber nach Köln fliegt. Über dem Wasser kann Kerosin abgelassen werden. An Bord ist eine volle Tankladung für einen 15-Stunden-Flug. Bei der Landung bedeutet so viel Gewicht gefährliche Schubkraft.

Es gibt unterschiedliche Angaben, ob und wieviel Benzin im Meer verschwindet. Fakt ist, eine halbe Stunde später setzt die Maschine in Köln auf, die Landung ist hart. Logisch, denken viele. Das Flugzeug war schwer. Der Pilot muss scharf bremsen. Erst als die Feuerwehrfahrzeuge und das Blaulicht auf der Landebahn zu sehen sind, dämmert manchem, dass ein größeres Drama nicht ausgeschlossen wurde. Es wird geprüft, ob die Bremsen brennen oder es sonstige Schäden gibt. 70 lange Minuten darf keiner das Flugzeug verlassen. Auch Merkel nicht. Warum, ist nicht klar.

Zuvor hatte es geheißen, in Köln stehe ein Ersatzflugzeug, das die Delegation nach Buenos Aires bringen könne. Die einzige verfügbare Maschine. Aber dieser Plan zerschlägt sich. Angeblich kann keine Crew so schnell dafür aktiviert werden. Der Außenstehende wundert sich. Kein Staats- oder Regierungschef einer großen Volkswirtschaft will einem einfallen, dessen Anreise zu einem Weltereignis an der eigenen Flotte scheitert. Auf den Spott brauchen Merkel und Scholz nicht lange zu warten. Aus Argentinien und anderswo erreichen den SPD-Mann Fragen, ob man mit Regierungsmaschinen anderer Nationen aushelfen könne. Kann man aber nicht. Merkel und Scholz machen sich am frühen Freitagmorgen nach Madrid auf, um von dort mit einem Linienflugzeug nach Südamerika zu fliegen.

Der Großteil der Delegation fährt wieder nach Hause, weil so schnell nicht so viele Plätze in Linienmaschinen zu bekommen sind. Auch Joachim Sauer fliegt nicht weiter mit. Das Partnerprogramm ist so gut wie vorbei, wenn er dort eingetroffen wäre. Seine Frau will aber wenigstens an der Abendrunde des Gipfels teilnehmen und versuchen, die für den Tag geplanten Treffen mit Chinas Staatschef Xi Jinping, US-Präsident Donald Trump und dem argentinischen Präsidenten Mauricio Macri noch nachzuholen. Merkel wird eine Schlüsselrolle zur Vermittlung im Ukraine-Konflikt zugeschrieben. Am Samstag will sie Russlands Präsidenten Wladimir Putin treffen.

In der Nacht sickern dann immer mehr Informationen durch. Die Delegation ist im Bonner Hotel Maritim untergekommen. Es werden noch schnell Brötchen und Getränke serviert. Zum Abendessen im Flugzeug war es ja nicht mehr gekommen. Merkel wird von Journalisten gefragt, wie schlimm der Vorfall wirklich gewesen sei. Sie sagt, es habe eine „ernsthafte Störung“ gegeben. „Glücklicherweise“ sei der „erfahrenste Flugkapitän der Flugbereitschaft“ der Pilot gewesen. Wenn Angela Merkel so spricht, muss die Lage dramatisch gewesen sein. Normalerweise wählt sie keine drastischen Worte. Scholz äußert sich ähnlich. Es verlautet, dieser erfahrene und herausragende Kapitän sei kurz nach der Landung „fix und fertig“ gewesen. Zwischenzeitlich sei nicht klar gewesen, ob das Fahrwerk funktionieren werde. Ihm sei es zu verdanken, dass kein Unglück geschehen sei. Die Kanzlerin soll unmittelbar mit Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen telefoniert haben.

Ein solcher Komplettausfall des Kommunikationssystems sei nicht für möglich gehalten worden, heißt es weiter. Jetzt werde die Sache „kriminalistisch“ aufgearbeitet, erfuhr unsere Redaktion aus Sicherheitskreisen. Das heißt übersetzt: Die Bundesregierung prüft, ob die Panne einen kriminellen Hintergrund hat - also bewusst herbeigeführt wurde. Es stehen ungeheuerliche Fragen im Raum. Wer könnte wann und wo und wie das Flugzeug manipuliert haben?

Aus Regierungskreisen verlautet, nach einem solchen Vorfall werde in „alle Richtungen“ ermittelt. In den ersten Stunden seien aber keine Anhaltspunkte für einen kriminellen Hintergrund gefunden worden, teilte ein Sprecher der Luftwaffe auf Anfrage am Freitagmorgen mit. Die Maschine werde ausschließlich vom Personal der Flugbereitschaft - nicht von der Polizei - untersucht, gewartet und instand gesetzt. Es handele sich um eine standardgemäße Überprüfung. Allerdings ist die Ursachenforschung noch nicht abgeschlossen, warum es zu dem seltenen Ausfall des Kommunikationssystems kam. Bestand tatsächlich die Gefahr, dass Kanzlerin und Vizekanzler mit ihrer Delegation abstürzen? Einige Reaktionen in Delegationskreisen mit ein paar Stunden Abstand nach der Landung lauten so: „Das war knapp.“

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