Interview mit RWE-Chef Rolf Martin Schmitz „Ein Kohleausstieg bis 2030 ist nicht zu schaffen“

Essen · Als Rolf Martin Schmitz vor zwei Jahren RWE-Chef wurde, sprach die Branche von „Rolfs Resterampe“. Doch RWE startete durch. Nun kämpft Schmitz gegen den Kohleausstieg und für einen fairen Innogy-Deal. Dass er weniger Geld verdient als der Eon-Chef, sieht er gelassen.

 RWE-Chef Rolf Martin Schmitz

RWE-Chef Rolf Martin Schmitz

Foto: Krebs, Andreas (kan)

Die Bundesregierung ist in der Krise, die Koalition droht zu zerbrechen. Machen Sie sich Sorgen?

Schmitz Politisch und gerade außenpolitisch gibt es aktuell viele drängende Themen. Als Staatsbürger wünsche ich mir da natürlich eine stabile Regierung. Als RWE-Chef bin ich gelassen: Ich muss die Politik so nehmen, wie sie kommt.

Gilt das auch für die Kohlekommission, die nächste Woche startet? Sie soll bis Jahresende ein Datum für den Kohleausstieg festlegen.

Schmitz Eine so folgenschwere Entscheidung unter Zeitdruck zu treffen, ist unverantwortlich. Hier gilt: Sorgfalt vor Geschwindigkeit. Die Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ soll sich nicht allein um Klimaschutz kümmern, sondern diesen mit Versorgungssicherheit, wettbewerbsfähigen Strompreisen und sozialen Aspekten in Einklang bringen. Zum Klimaschutz hat die Energiebranche übrigens schon viel beigetragen. Allein RWE hat im letzten Jahr in Deutschland über zehn Millionen Tonnen Kohlendioxid eingespart. Bis 2030 werden wir unsere CO2-Emissionen um bis zu 50 Prozent reduzieren. Jetzt müssen auch die Sektoren Verkehr, Landwirtschaft und Gebäude liefern.

RWE ist der größte CO2-Emittent in Europa. Allein als politisches Signal wird man Braunkohle-Blöcke abschalten wollen.

Schmitz Politische Signale erzeugen aber keinen Strom. Die Frage, wann wir Braunkohle-Kraftwerke abschalten, hängt davon ab, wie schnell wir die erneuerbaren Energien ausbauen können. Auch die Frage des Netzausbaus und der Förderregime ist relevant. Der Ausstieg aus der Kohle ist dann nur eine Resultante.

Ist der Kohleausstieg bis 2030 zu schaffen, wie Klimaschützer fordern?

Schmitz Nein, das ist nicht zu schaffen, selbst wenn die erneuerbaren Energien bis dahin 65 Prozent des Strombedarfs decken können. Das halte ich übrigens angesichts des schleppenden Netzausbaus für schwierig. Zudem gibt es noch nicht genug Gaskraftwerke, die die Versorgungssicherheit garantieren. Bevor wir nun hektisch neue, teure Gaskraftwerke bauen, sollten wir den Ausbau der Erneuerbaren vorantreiben und vorhandene Kohlekraftwerke als Brückentechnologie nutzen.

Der gesellschaftliche Druck nimmt zu, die Politik wird einen Ausstieg 2030 oder früher sehen wollen.

Schmitz Noch einmal: Jede Kilowattstunde aus erneuerbaren Energien verdrängt eine Kilowattstunde aus fossilen Kraftwerken. Wenn die Politik vorzeitig aus der Kohleverstromung aussteigen will, muss sie ein Preisschild dran machen, auf dem steht: So viele Arbeitsplätze müssten wir streichen, um so viel wird der Strompreis steigen, der die Industrie aus dem Land treiben kann, weil die Versorgung aufwendiger als bisher gesichert werden muss. Wer zu früh aus der Kohle aussteigt, wird dafür teuer bezahlen müssen.

Ihre Blöcke sind teilweise 40 Jahre alt. Sie freuen sich doch, wenn Sie für deren Stilllegung noch Geld erhalten.

Schmitz Einspruch! Wenn der Staat aus politischen Gründen Unternehmen enteignet, steht ihnen Schadenersatz zu. Viel wichtiger aber ist: Es geht nicht nur um uns, sondern auch um unsere Kunden, die die Zeche zahlen.

Wie viele Arbeitsplätze sehen Sie denn bei RWE bedroht?

Schmitz Allein im rheinischen Revier beschäftigt RWE fast 10.000 Mitarbeiter in der Braunkohle; hinzukommen etwa 25.000 Stellen bei Partnerfirmen. Gut ausgebildete Fachkräfte, darunter viele Auszubildende. Wir haben unsere Personalplanung darauf ausgerichtet, dass wir die Tagebaue bis Mitte des Jahrhunderts auskohlen. Bei einem raschen Ausstieg aus der Kohleverstromung reden wir aber auch über hunderttausende Arbeitsplätze in der Industrie. Es geht also um den Industriestandort Deutschland. Deshalb ist das Thema wichtig.

Ein früher Ausstieg würde vor allem die Lausitz treffen, wo es nur Braunkohle gibt. Was erwarten Sie von der Kohlekommission?

Schmitz Die Kommission ist eine Chance, denn sie kann Planungssicherheit schaffen. Dabei sind verlässliche Perspektiven in Ost und West wichtig: für die Regionen, für die Unternehmen und deren Beschäftigte sowie für die Industrie.

Was wird auf Dauer aus Ihren Tagebaugebieten?

Schmitz Aus dem Tagebau Inden wird nach 2030 ein See, der etwa so groß wird wie der Tegernsee. Aus dem Tagebau Hambach wird sogar das zweitgrößte Binnengewässer nach dem Bodensee. Doch bis Sie darin baden können, wird es noch dauern.

Eon hat mit anderen Firmen einen Appell zum Kohleausstieg unterzeichnet. Die neue Chefin des Branchenverbands BDEW, Marie-Luise Wolf, hat sich für einen zügigen Ausstieg ausgesprochen. Sind Sie sauer?

Schmitz Von dem Ausstiegs-Appell habe ich nichts mehr gehört. Und Frau Wolf ist wohl missverstanden worden. Das hat sie ja selber gesagt. Klar ist: Als Präsidentin des BDEW wird sie die Interessen der gesamten Branche vertreten.

Auch Investoren wie der norwegische Staatsfonds oder die Allianz wollen Kohleprojekte nicht mehr finanzieren. Gibt Ihnen das nicht zu denken?

Schmitz Sie finanzieren zwar keine neuen Kohleprojekte mehr, aber in RWE bleiben sie weiter investiert. Zumal wir durch die Vereinbarung mit Eon über die Aufteilung von Innogy zum drittgrößten Ökostromanbieter in Europa aufsteigen werden.

Hier muss RWE stark investieren, um international mithalten zu können. Wie sehen Ihre Pläne für die Ökostromsparte aus?

Schmitz Wir verschaffen uns erstmal einen Überblick, was die Experten in beiden Unternehmen vorhaben – noch gehört das Ökostromgeschäft ja Eon und Innogy. Klar ist: Nach Abschluss der Transaktion wollen wir investieren und können das auch finanziell. 1,5 Milliarden im Jahr stehen dann für den Ökostrom zur Verfügung. Und das in Märkten, wo wir gemeinsam mit den neuen Kolleginnen und Kollegen die besten Perspektiven sehen.

Ihr Tauschgeschäft mit Eon war ein Paukenschlag. Wer hat eigentlich den besseren Deal gemacht – Sie oder Eon-Chef Johannes Teyssen?

Schmitz Ach, das sehen wir entspannt. Beide Unternehmen haben damit langfristig hervorragende Perspektiven.

Das sieht die Innogy-Belegschaft anders: Sie fühlt sich von RWE verraten und traut Eon nicht, zumal Teyssen bereits angekündigt hat, 5000 der künftig 74.000 Stellen zu streichen.

Schmitz Die Gewerkschaften tragen die Strategie mit. Und gemeinsam konnten wir eine gute Vereinbarung erzielen, bei der Kündigungen für die Mitarbeiter – genauso wie bisher – praktisch ausgeschlossen sind. Zudem hat Johannes Teyssen zugesagt, Eon- und Innogy-Mitarbeiter bei der Besetzung gleich zu behandeln.

Das gilt nur für Tarifmitarbeiter ...

Schmitz Und für außertariflich Beschäftigte. Die Vereinbarung gilt nicht für die Manager, das stimmt. Aber ich bin mir sicher, dass man Innogy-Mitarbeiter fair behandeln wird.

Haben Sie Sorge, dass Innogy nun sein Tafelsilber verkauft, um den Deal zu sabotieren?

Schmitz Ich sehe überhaupt nicht, dass Innogy solche Pläne hat. Ein möglicher Verkauf des tschechischen Gasgeschäfts wäre übrigens aufgrund bestehender Klauseln ausdrücklich kein Grund, die Verträge aufzukündigen. Das hatten wir bei den Verhandlungen entsprechend berücksichtigt. Eon will die Transaktion genau wie RWE.

Uwe Tigges war RWE-Personal-Chef und ist nun innogy-Chef. Sind aus Freunden Gegner geworden?

Schmitz Geschäftlich sehen wir manche Dinge anders, doch an unserer freundschaftlichen Beziehung ändert das nichts.

Können Kartellbehörden Sie noch aufhalten?

Schmitz Davon gehe ich nicht aus. Experten wie der Chef der Monopolkommission sehen keine Bedenken. Wir sind in Kontakt mit den Kartellämtern in verschiedenen Ländern und sind voll im Zeitplan. Ich gehe davon aus, dass Eon und RWE in 2019 alle Freigaben erhalten und die Transaktion vollzogen werden kann.

Können Kommunen Sie noch behindern, die Change-of-control-Klauseln nutzen, wonach sie ein Kündigungsrecht bei Eigentümerwechsel haben?

Schmitz Das Thema sollte man nicht überschätzen. Die kommunalen Aktionäre von RWE tragen zudem die Vereinbarung mit Eon voll mit.

Eon macht künftig vor allem staatlich reguliertes Geschäft, RWE steht viel mehr im Wettbewerb. Müssten Sie nicht eigentlich mehr verdienen als Teyssen?

Schmitz Laut Rankings verdienen viele Dax-Chefs mehr als ich, aber damit kann ich gut leben.

Als Peter Terium Innogy vor zwei Jahren abgespalten hat, galt RWE als „Rolfs Resterampe“. Wie ist die Stimmung heute?

Schmitz Heute sind die Mitarbeiter stolz, bei RWE zu sein. Wir sind ein Konzern, der sich neu aufgestellt hat und weiter wachsen will.

Sie sind auf der Suche nach weiteren Kraftwerken. Sprechen Sie auch mit EnBW und Steag?

Schmitz Wir schauen uns in Regionen, in denen für uns eine Expansion Sinn macht, nach Möglichkeiten um, Kraftwerke neu zu bauen oder zu kaufen. An Steag-Kraftwerken sind wir nicht interessiert, sie liegen in Regionen, die für uns uninteressant sind, das hatten wir bereits öffentlich gesagt.

Lange hat RWE unter dem niedrigen Großhandelspreis gelitten. Nun ist er auf über 35 Euro je Megawattstunde gestiegen. Ihr Konkurrent Vattenfall findet, die Preise seien zu hoch.

Schmitz Vattenfall-Chef Magnus Hall hat das mit Blick auf die hohen Abgaben gesagt, die die Verbraucher zahlen müssen. Die Produktionskosten der konventionellen Stromerzeugung machen ja nur etwa 10 bis 15 Prozent am Haushaltsstrompreis aus. Man darf auch nicht vergessen, dass die CO2-Preise ebenfalls deutlich gestiegen sind. Das belastet gleichzeitig die Marge von Kraftwerken. Ich gehe davon aus, dass die Großhandelspreise weiter steigen werden. Schließlich gehen bis 2022 mit den letzten Kernkraftwerken weitere 10.000 Megawatt vom Netz.

Haben Sie den Kampf um Kapazitätsmärkte aufgegeben, nachdem nun auch Energieminister Peter Altmaier wie zuvor Sigmar Gabriel solche Subventionen für Reserve-Kraftwerke ausgeschlossen hat?

Schmitz Es wird Mechanismen geben müssen, mit denen Versorgungssicherheit bezahlt und garantiert wird. Auf ganz lange Sicht werden schnell startende Gasturbinen die Versorgungssicherheit garantieren und dafür sorgen, dass Strom fließt, auch wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht. Das muss bezahlt werden.

Wie zufrieden sind Sie mit dem neuen Energieminister? Den Start der Kohlekommission hat er schon mal verstolpert.

Schmitz Im Moment hat der Wirtschaftsminister ja viele Themen auf dem Tisch wie etwa den Konflikt um Strafzölle. Ich habe aber keinen Zweifel, dass das Thema Energie bei ihm auf der Agenda ist und mit dem notwendigen Nachdruck verfolgt wird.

Herr Teyssen hat gerade angekündigt, dass er Ende 2021 seinen Hut nimmt und die große Freiheit genießt. Wie sieht Ihre Planung aus?

Schmitz Wir haben schon darüber gewitzelt, dass wir ja etwa zeitgleich aufhören wenn man auf unsere Vertragslaufzeiten schaut. Aber ganz ehrlich, die Zeiten sind gerade extrem spannend und die Arbeit in unserem Team macht so viel Spaß, dass ich darüber im Moment nun wirklich nicht nachdenke.

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