Mit Verlaub! Die deutschen "Je suis Charlie"-Maskeraden

Bei allem Entsetzen über die Morde von Paris gilt auch: Freiheit niemals von Verantwortung trennen! Und: keine kindische Solidaritätspflicht mit jeglicher Sudelei gegen die Gefühle anderer.

Neulich in einer Sonntagszeitung las ich lauter Sätze wie Hammerschläge. Hören Sie mal rein: "Nicht einmal ein deutscher Papst konnte das Christentum in Deutschland reanimieren." - "Vom deutschen Pontifikat ist außer ein bisschen Nationalstolz und schönen Fotos nichts geblieben." - "In vielem gleicht die Kirche in Deutschland heute der späten DDR: sieht stabil aus, steht aber kurz vor dem Kollaps." - "Pfarrer und Bischöfe, auch viele Aktive in den Pfarrgemeinden sehen blühende Landschaften, wo längst Wüste ist."

Es hat Rumms gemacht in dem Beitrag. Sätze wie Hammerschläge eben. Machen sie uns platt, oder wecken sie uns auf? Ich denke: weder noch, sie lassen die allermeisten kalt; wahrscheinlich auch die neue Dresdner Apo (Außerparlamentarische Opposition) gegen die herausfordernde Moderne. Die Apo-Aktiven mögen grübeln: "Was will der Islam?" In Wahrheit denken sie: "Wo bleibe ich?" Patrioten, denen es um Moneten geht? Abends wird das Abendland beschworen, anderntags steht man als christlicher Morgenmuffel auf. Ich glaube, dass der alte Bert Brecht recht hatte: Immer kommt zuerst das Fressen und dann die Moral. Nicht selten bleibt es bei Gefräßigkeit.

Und dann wiederum der Gedanke: Hoppla, doch noch Glut im Kamin. Ich meine nicht das kindische deutsche Nachäffen der neuesten Bekennerformel "Je suis Charlie": anschwellender Unmut über solche Betroffenheits-Maskeraden erwachsener Berliner Politiker mit Pappschildern und Teelichtern in den Händen. Ich meine eher die plötzliche Nachdenklichkeit über Grundwerte wie Religions-und Meinungsfreiheit, speziell über Pressefreiheit, die ja nach einem berühmten Diktum des Bundesverfassungsgerichts konstituierend für die Demokratie ist.

Ich denke auch an Christen, Muslime, Juden, Nichtgläubige, die sich bei allem Entsetzen über die Morde von Paris jetzt angesichts deutscher Betroffenheits-Expressionisten mit Schulfranzösisch auf den Lippen diese Frage stellen: Ob jede Sudelei und Geschmacklosigkeit gegen das, was religiösen Menschen heilig ist, eine anbetungswürdige kulturelle Höchstleistung darstellt, mit der man sich gefälligst zu solidarisieren hat. Freiheit ist ein unter viel Blutzoll erkämpftes Menschenrecht. Aber wo immer Freiheit von Verantwortung getrennt wird, ist Gefahr im Verzug.

Wer also mit Bekenner-Lichtlein in der Hand sein deutsches "Je suis Charlie"-Trömmelchen rührt, sollte begreifen, dass auch diejenigen die Gesellschaft spalten und Hass säen, die mit manchmal primitiven Provokationen Geschäfte machen. Man hat sie zu ertragen, bejubeln muss man sie nicht.

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(RP)
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