Interview Hermann Gröhe „CDU in Mitte der Gesellschaft behaupten“

Neuss · Der Neusser Bundestagsabgeordnete Hermann Gröhe spricht über Volker Kauders Sturz, Politiker für die Zeit nach Angela Merkel und seine Zukunft.

 Der Neusser Hermann Gröhe (57) gehört seit 1994 dem Deutschen Bundestag an, war Gesundheitsminister und ist stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für Soziales und wirtschaftliche Zusammenarbeit.

Der Neusser Hermann Gröhe (57) gehört seit 1994 dem Deutschen Bundestag an, war Gesundheitsminister und ist stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für Soziales und wirtschaftliche Zusammenarbeit.

Foto: dpa/Fabian Sommer

Herr Gröhe, am Sonntag wählt Hessen. Wird dort womöglich das Ende der Volksparteien besiegelt?

Hermann Gröhe Nein. In Hessen waren die Landtagsergebnisse seit vielen Jahren immer knapp. Es hat sich gezeigt, dass es richtig war, in diesem Industrieland mit dem größten deutschen Flughafen ein schwarz-grünes Bündnis zu wagen. Ich hoffe sehr, dass dessen erfolgreiche Arbeit fortgesetzt werden kann, zumal es Harakiri wäre, die dort weit links stehende Linkspartei an der Regierungsbildung zu beteiligen.

Nicht wenige erwarten, dass in Berlin die Suche nach den Schuldigen losgehen wird und die Große Koalition kippen könnte, wenn Union und SPD ähnlich dramatisch verlieren wie in Bayern. In Ihren Augen kein realistisches Szenario?

Gröhe Das glaube ich nicht. Das wäre auch falsch. Wir haben in Berlin einen ordentlichen Koalitionsvertrag und eine klare parlamentarische Mehrheit. Und da stellen sich einige in einem der erfolgreichsten Staaten der Welt die Frage: Haben wir überhaupt noch Lust, zu regieren? Von solchen Debatten in der SPD sollten wir uns nicht anstecken lassen.

Sie glauben also, dass die Große Koalition bis zum Ende der Legislaturperiode 2021 durchhält?

Gröhe Unsere Arbeit ist so angelegt. Es liegt an uns Abgeordneten der Regierungsfraktionen, die Verantwortung wahrzunehmen, die uns die Wähler übertragen haben. Die Menschen erwarten zu Recht, dass wir unsere Arbeit machen und die Probleme lösen, die sie beschäftigen. Die SPD sollte lieber die gemeinsamen Erfolge darstellen, zum Beispiel die Gesetzentwürfe, die SPD-geführte Ministerien eingebracht haben, von Verbesserungen bei der Erwerbsminderungsrente bis zur Kita-Qualität.

Industrieverbände verbreiten die Nachricht, dass das Weltwirtschaftsforum Deutschland zum Innovations-Weltmeister ausgerufen hat. Hinzu kommen wirtschaftlicher Aufschwung und Vollbeschäftigung. Warum sind viele im Lande dennoch so unzufrieden?

Gröhe Die insgesamt sehr gute Lage, um die uns viele auf der Welt beneiden, darf uns nicht dazu verleiten, die zu vergessen, denen es nicht so gut geht. Wir müssen zum Beispiel bessere Perspektiven für Langzeitarbeitslose entwickeln und für mehr bezahlbaren Wohnraum sorgen. Beides packen wir entschlossen an. Und wir müssen alles tun, damit die positive wirtschaftliche Entwicklung anhält. Wir haben aber auch Vertrauen mit dem Dauerstreit zur Migration verspielt. Zudem war der Stil der Auseinandersetzung daneben. Da fragen sich dann die Bürger: Wo bleibe ich mit meinen Problemen? Vertrauen gewinnt man nur durch beharrliche Arbeit zurück.

Im Fall Maaßen heißt die Botschaft nicht: Wir haben verstanden...

Gröhe Wenigstens hat im Nachhinein niemand versucht, diese Fehlentscheidung zu rechtfertigen. Sie wurde vielmehr korrigiert.

Auch in Ihrer Fraktion rumort es. Nach 13 Jahren wurde Fraktionschef Kauder fallen gelassen. Das war ein Votum gegen die Kanzlerin.

Gröhe Die Fraktion hat mit knapper Mehrheit entschieden. Es ging um Profilschärfung und mehr Eigenständigkeit der Regierung gegenüber. Wenn wir mit dieser Entscheidung klug umgehen, dann kann von dem ungeplant herbeigeführten Wechsel an der Spitze ein positiver Impuls der Erneuerung ausgehen.

Waren Sie auch für diese personelle Erneuerung?

Gröhe Ich hätte mir gewünscht, dass die lange und erfolgreiche Amtszeit von Volker Kauder anders endet. Darum habe ich ihn gewählt. Aber ich arbeite auch mit Ralph Brinkhaus sehr gut zusammen.

Was bedeutet der Wechsel an der Spitze der Unionsfraktion für Angela Merkel, die beim Parteitag im Dezember erneut als Vorsitzende kandidieren will?

Gröhe Wir müssen die schlechten Erfahrungen, die die SPD mit der Trennung von Kanzlerschaft und Parteivorsitz gemacht hat, nicht wiederholen. Und unser neuer Fraktionschef Ralph Brinkhaus hat ja klar gemacht, dass er die erneute Kandidatur von Angela Merkel als Parteivorsitzende unterstützt. Zudem verfügen wir über eine starke Riege von Frauen und Männern, die die Politik auch nach der Zeit von Angela Merkel gestalten kann. Dazu gehören unsere sehr beliebte Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer, erfolgreiche Ministerpräsidenten…

Inklusive Armin Laschet?

Gröhe Klar gehört Armin Laschet dazu. Die von ihm geführte schwarz-gelbe NRW-Regierung ist sehr erfolgreich. Er hat einen klaren Kompass und tritt überzeugend auf.

Welche Rolle gedenkt Hermann Gröhe künftig in Berlin zu spielen?

Gröhe Mir bereitet die Arbeit als Fraktionsvize der CDU/CSU für den Sozialbereich große Freude. Ich betreue ein zentrales Politikfeld und arbeite mit dem zuständigen Fachminister Hubertus Heil sehr gut zusammen. Von wachsender Bedeutung ist auch die Entwicklungszusammenarbeit, mein zweiter Arbeitsschwerpunkt – denken wir nur an die Bekämpfung von Fluchtursachen. Da trifft es sich gut, dass ich mit dem zuständigen Minister Gerd Müller seit Jahren befreundet bin.

Sie sind erst 57 Jahre alt. Was planen Sie mittelfristig?

Gröhe Gerne würde ich meine Arbeit im Bundestag über den nächsten Wahltag hinaus fortsetzen. Auf dem Parteitag im Dezember in Hamburg erfolgt zudem der Startschuss für ein neues Parteiprogramm, das in den kommenden drei Jahren erarbeitet wird. Daran möchte ich gern inhaltlich mitarbeiten. Es geht darum, die CDU in der Mitte der Gesellschaft zu behaupten. Wir dürfen uns nicht thematisch verengen, sonst versagen wir als Volkspartei.

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