Analyse Eine Niederlage der Demokratie?

Dinslaken · 7319 Stimmen dafür, 4534 dagegen. Beim Bürgerentscheid über den Bahnhofsvorplatz gab's eine eindeutige Mehrheit. Dennoch hat sich diese Mehrheit nicht durchgesetzt, weil 899 Stimmen fehlten. Hat deswegen die Demokratie verloren?

 Sonntag, Saal d'Agen im Rathaus, kurz nach 20 Uhr: Applaus, aber auch nachdenkliche Gesichter bei der Bekanntgabe des Ergebnisses des Bürgerentscheids zum Bahnhofsvorplatz

Sonntag, Saal d'Agen im Rathaus, kurz nach 20 Uhr: Applaus, aber auch nachdenkliche Gesichter bei der Bekanntgabe des Ergebnisses des Bürgerentscheids zum Bahnhofsvorplatz

Foto: Martin Büttner

7319 Stimmen dafür, 4534 dagegen. Beim Bürgerentscheid über den Bahnhofsvorplatz gab's eine eindeutige Mehrheit. Dennoch hat sich diese Mehrheit nicht durchgesetzt, weil 899 Stimmen fehlten. Hat deswegen die Demokratie verloren?

Dinslaken Das Endergebnis des Bürgerentscheids war am Sonntag noch nicht einmal zwei Stunden bekannt, da meldete sich schon der Landesverband Nordrhein-Westfalen der Initiative "Mehr Demokratie" zu Wort und beklagte, dass in Dinslaken die Demokratie verloren habe. Das Bürgerbegehren, das sich für die Beibehaltung der Verkehrsführung und der Parkplatzsituation am Bahnhofsvorplatz eingesetzt hatte, habe beim Bürgerentscheid, so hieß es in der Pressemitteilung, zwar die Mehrheit errungen, doch sei das nichts wert, weil das Begehren nicht die vorgeschriebene Mindestzustimmung von 15 Prozent aller Stimmberechtigten erreicht habe. Statt 7319 Stimmen hätte es 8218 der 54.785 Abstimmungsberechtigten gebraucht. "Die Abstimmungshürde bringt damit erneut eine demokratisch zustande gekommene Mehrheit zu Fall. Politisches Engagement wird so bestraft statt belohnt", kritisierte Nicola Quarz, Landesvorstandsmitglied der Initiative. "Entschieden haben die, die zu Hause geblieben sind. Das ist in einer Demokratie ein falsches Signal." Laut Mehr Demokratie haben mit der Abstimmung in Dinslaken landesweit bei 249 Bürgerentscheiden 110 Abstimmungsvorlagen das Zustimmungsquorum nicht erreicht, das je nach Gemeindegröße bei zehn, 15 oder 20 Prozent liegt. "Bei Bürgerentscheiden sollte wie bei Wahlen die Mehrheit derer entscheiden, die daran teilnehmen. Das Quorum ist schädlich für die Demokratie und sollte gestrichen werden", forderte Quarz. Das ist leicht gefordert, ist es aber auch sinnvoll? Für den Dinslakener Fall hätte die Streichung des Quorums bedeutet, dass 7319 von knapp 55.000 Stimmberechtigten - also eine ganz klare Minderheit - entschieden hätten, wie es am Bahnhofsvorplatz weitergeht. Bei Bürgerentscheiden zu anderen Fragen ließen sich ohne Quorum noch deutlich kleinere Minoritäten denken, die wichtige Themen entscheiden. Ob das zur Stärkung der Demokratie beiträgt, darf zumindest bezweifelt werden. Das Dinslakener Ergebnis vom Sonntag kann aber auch anders interpretiert werden - und zwar als wenn auch nicht unbedingt Sieg, so doch als Stärkung der repräsentativen Demokratie.

Was ist passiert am Sonntag beim Bürgerentscheid? 7319 Dinslakenerinnen und Dinslakener haben für das Anliegen des Bürgerbegehrens entschieden. 47.466 haben dies nicht getan, 4534 indem sie mit Nein gestimmt haben, die Übrigen, indem sie sich nicht beteiligt haben. Denen, die zuhause geblieben sind, ihre Zeit im Schwimmbad oder bei anderweitigen angenehmen Beschäftigungen verbracht haben, kann man nun natürlich vorwerfen, dass ihnen das Schicksal ihrer Stadt in einer wichtigen Frage egal ist, macht es sich damit aber sehr einfach. Sicher wird bei dem ein oder anderen mangelndes Interesse der Grund dafür gewesen sein, dass er der Abstimmung ferngeblieben ist. Viele mögen allerdings auch deswegen nicht zur Wahlurne gegangen sein, weil sie erwarten, dass die, die sie schließlich dafür gewählt haben, ihre Arbeit tun und auch darauf vertraut haben, dass die das schon in ihrem Sinne tun werden. Zumindest haben beim Bürgerentscheid - Patrick Voss von den Grünen hat das am Sonntagabend formuliert - alle, die nicht mit Ja gestimmt haben, den von ihnen gewählten Vertretern das Vertrauen in einer wichtigen Frage der Stadtentwicklung nicht entzogen. Das können und müssen die Dinslakener Ratsvertreter und speziell der Bürgermeister als deren erster als Auftrag verstehen: als Auftrag alles zu tun, damit es nicht zu Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden, die natürlich auch immer ein Misstrauen zum Ausdruck bringen, kommt. Nicht um so direkte Demokratie zu verhindern, sondern um ihrer Verantwortung gerecht zu werden, dem Allgemeinwohl zu dienen. Werden sie dieser Verantwortung gerecht, ist ein Bürgerentscheid, der so ausgeht wie der am Sonntag, eben kein Schaden für die Demokratie. Die nimmt erst Schaden, wenn es die Politik auf Dauer nicht mehr schafft, die Überzeugung zu vermitteln, dass sie jeden einzelnen Bürger ernst nimmt und dabei doch das Große und Ganze im Auge behält. Die Quittung dafür erhalten Bürgervertreter dann bei den Wahlen.

(RP)
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