U2-Konzert in Köln Bono verbeugt sich vor Campino

Köln · Die irische Rockband U2 hat am Dienstagabend das erste von zwei ausverkauften Konzerten in der Kölner Arena gegeben. Sänger Bono machte aus dem Auftritt eine Politik-Lehrstunde. Und die Toten Hosen kamen auch vor.

Nach etwa einer Stunde ist dieser Auftritt kein Konzert mehr, sondern Politikunterricht. Und damit der nicht langweilig wird, aber trotzdem ernst und eindrücklich genug bleibt, betritt Bono die Bühne als Mephisto verkleidet: Zylinder, schwarz geschminkte Augenhöhlen, bisschen Grusel. Er spricht nun als Teufel, Rollenprosa ist das, und als Leibhaftiger sagt er also, dass er Bonos Freund Campino ganz schlimm finde, denn der habe in Chemnitz gegen Rechts gesungen. Campino sei dort für Liebe und Frieden eingetreten, und etwas Öderes gebe es kaum. Er, der Belzebub, ziehe jedenfalls stets den Aufruhr und brennende Kreuze vor. Dann beginnt das Lied "Summer Of Love", Bono ist nun zum Glück wieder Bono, und er zeigt Aufnahmen von Flüchtlingen, Kriegsopfern und rechten Aufmärschen. "Denkt daran, wie es hier vor 50, 60 Jahren aussah", ruft er. "Lasst euch nichts vormachen." Auf der mächtigen Leinwand leuchtet das Stichwort, unter dem die Toten Hosen in Chemnitz demonstriert haben: #wirsindmehr.

U2 gibt in der Kölner Arena das erste von zwei ausverkauften Konzerten. Die erfolgreichste Liveband der Welt inszeniert den Abend als eine Mischung aus Rockoper, Cabaret, Agitprop, Zirkus und Kino. Das Quartett beginnt sehr stark mit "I Will Follow", "Red Flag Day" und "Beautiful Day". Mitten durchs Publikum verläuft ein Steg, auf dem die Musiker auf und ab gehen, ganz nah an den Leuten, von jeder Seite einsehbar. Der Steg ist mit einer durchsichtigen Videowand verkleidet, über die ständig Animationen laufen, wobei man die Band dahinter immer sieht. Das führt zu großartigen Effekten, bei "Cedarwood Road" etwa, wenn Bono tatsächlich in der Straße seiner Dubliner Kindheit zu spazieren scheint. Der Steg mündet auf der einen Seite in eine kleine rechteckige Bühne, auf der anderen Seite in eine runde. Knapp zwei Stunden dauert der Auftritt, und U2 wechseln mehrfach von Bühne zu Bühne.

Das Zentrum dieses energiegeladenen Spektakels ist dabei stets Bono, Frontpfau von U2. Das zweite Berliner Konzert am Wochenende musste er abbrechen, weil seine Stimme plötzlich weg war, aber davon merkt man nichts mehr. Im Gegenteil: "No more war!", schreit er mehrfach am Ende des als Militärmarsch inszenierten Klassikers "Sunday Bloody Sunday". Und "Pride (In The Name Of Love)" singt er in ein Megaphon - oder besser: Er ruft es. Alle zuhören, bitte. Totale Dringlichkeit. Bono ist der Macker am Mikrofon. Er stolziert über die Bühne, er beugt die Knie und zeigt dem Himmel sein Gesicht. Er steht vor dem Mikroständer und legt die Handflächen auf die Oberschenkel, und er holt mit dem Arm immer wieder weit aus, so dass es scheint, als wolle er sein Mikrofon wegschleudern. Er singt "Elevation" und "Vertigo": hoher Druck, enorme Lautstärke, großes Tennis.

Nun besteht Bono jedoch aus zwei Persönlichkeiten: dem Musiker und dem Aktivisten. Als Musiker gibt er den Leuten immer wieder ein paar Lieder, die sie an früher denken lassen, als sie jung waren. Als Aktivist tut er sogleich alles, um Sentiment und Wehmut, die sein Job als 58 Jahre alter Rockstar unweigerlich mit sich bringen, zu zerstreuen - ja: zu bekämpfen. Früher ist vorbei, scheint er zu sagen, wir leben heute, und heute läuft es nicht rund. Also glotzt nicht so romantisch! Bono ist ein musikalischer Wanderprediger, die Konzerthallen sind sein Revier, und wer dort Spaß haben möchte, muss nach jedem zweiten oder dritten Song nachsitzen. Rock 'n' Roll Abendschule. Staatsbürger in Lederjacke. Alle Macht dem Folk.

So hört man die komplette berühmte Rede aus Charlie Chaplins "Großer Diktator": "Ohne Menschlichkeit und Nächstenliebe ist unser Dasein nicht lebenswert!". Dazu laufen Bilder von zerstörten deutschen Städten aus den Jahren 1945 und '46 über die Videowand. Dann lobt Bono Kölns OB Henriette Reker für ihr Engagement gegen Fremdenfeindlichkeit. Und sein Redebedarf wird zu später Stunde immer noch größer. Das führt zu skurrilen Situationen wie jener, bei der er vor einer Europaflagge steht, erst die "Ode an die Freude" summt und dann Gedanken aus seinem vor ein paar Tagen in der FAZ erschienenen Gastbeitrag über die Bedeutung Europas wiederholt: "Seine Werte und Ansprüche machen Europa zu so viel mehr als einer geographischen Verortung. Sie sind der Kern unserer Menschlichkeit und davon, wie wir sein wollen."

Gegen Ende gibt es ein grandioses "New Year's Day". Man hätte danach gerne noch "With Or Without You", "Where The Streets Have No Name" oder einen anderen der großen Kracher gehört. Aber die spielen U2 nicht. Stattdessen feuern sie über die Leinwand Erbauliches in die Halle, Einträge aus dem Brevier des gebeutelten Zeitgenossen: "Schwestern und Brüder, steht füreinander ein." "Armut ist sexistisch". "Niemand von uns ist gleich, bis wir alle gleich sind."

Als Zugabe stimmt Bono schließlich den immer noch sehr schönen und warm glänzenden Song "One" aus dem Jahr 1991 an. Beinahe 20.000 Menschen singen mit. "We're one, but we're not the same / We get to carry each other / Carry each other."

Verdammt, denkt man da: Er hat ja recht.

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