Nutzlos, gefährlich oder voller Nebenwirkungen Diese Medikamente kann man sich sparen

Bremen · 39 Prozent der deutschen Arzneimittel sollen nach Einschätzung von Pharma-Kritikern überflüssig oder sogar gefährlich sein. Allein der Blick auf die Liste der Erkältungsmittel decke Produkte auf, die eigentlich niemand braucht. Wir haben mit Arzneimittel-Experten gesprochen.

Diese Erkältungsmittel kann man sich sparen
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Foto: dpa, Karl-Josef Hildenbrand

Menschen, die starke Schmerzen leiden, sind vielleicht schon mit dem Wirkstoff Metamizol behandelt worden. Bekannt ist es vielen durch den Marktschlager Novalgin, das seit 1952 auf dem Markt ist. "Es ist ein hocheffektives fiebersenkendes Schmerzmittel, mit wenigen häufig vorkommenden Nebenwirkungen", erklärt Prof. Bernd Mühlbauer, Direktor des Instituts für Pharmakologie am Klinikum Bremen Mitte. Der Haken: "Einige seiner Nebenwirkungen sind zwar selten aber tödlich."

Deutschland als Arzneimittelfeldversuch

So führt es sehr selten zu einer Schockreaktion oder lässt die Zellbildung im Knochenmark versiegen. Dadurch werden auch keine weißen Blutkörperchen mehr gebildet. Die Immunabwehr bricht zusammen. "Setzt diese Reaktion ein, endet sie häufig tödlich. Das ist das Schlimme. Man kann meist nichts mehr tun", sagt Mühlbauer. Agranulozytose nennt man diese Reaktion. Was den Bremer Pharmakologen und Vorstandsmitglied der Arzneimittelkommission beunruhigt ist, dass es seit der Zunahme von Verschreibungen von Metamizol-Präparaten auch eine der gefährlichen Agranulozytose gibt, bei der eine Untergruppe der weißen Blutkörpcherchen angegriffen wird "Ich bekomme Schnappatmung angesichts dieser Entwicklung, denn Deutschland macht da derzeit einen sehr unrühmlichen Feldversuch", sagt er.

Schwere Entscheidungen um die Zulassung

Wie schwer es ist zu entscheiden, ob ein Medikament seine Zulassung verdient oder nicht, weist der Blick auf die Wirkstoffgruppe der Gliptine. Deren Einnahme senkt den Blutzucker von Diabetikern und dadurch soll das Risiko für langfristige Gesundheitsschäden minimieren. In Deutschland sind drei zwar zugelassen, aber ihr Zusatznutzen gegenüber den bisher vorhandenen Arzneimitteln wird bezweifelt. Weil es keine Studie, die eine vergleichende Nutzenbewertung liefert, wissen wir nichts über den therapeutischen Stellenwert dieser Wirkstoffe, weshalb sie nur eingeschränkt erstattet werden. "Tragisch ist: Es kann sogar sein, dass Gliptine gute Medikamente sind, aber die Studien, die das zeigen, sind nicht gemacht worden", so Mühlbauer.

Problemfrei sind ebenso wenig die rezeptfreien Medikamente: Wenn Anne Migräne hat, dann nimmt sie Thomapyrin Intensiv ein. Helfen würde wahrscheinlich auch Thomapyrin Classic. Beide unterscheidet nämlich lediglich eine Wirkstoffmenge von 0,05 Gramm Paracetamol. Dem Pharma-Kritiker Prof. Bernd Mühlbauer treibt das einen Lacher über die Lippen, bevor er ernst einräumt: "Der Placeboeffekt ist bei jeder Schmerztherapie ein wichtiger Faktor."

39 Prozent der Medikamente sind überflüssig

Exemplarisch zeigt sich daran ein anders gelagertes Manko: 39 Prozent der auf dem deutschen Markt befindlichen Pillen, Säfte und Co. halten die Kritiker für unsinnig und überflüssig. Unter unverzichtbare und lebensrettende Medikamente mischen sich solche, die überflüssig sind, weil sie dem Patienten keinen therapeutischen Nutzen bringen. Ebenso auch solche, deren Sinnhaftigkeit Pharmakologen wie Prof. Peter Schönhöfer, ehemaliger Leiter der Abteilung Arzneimittelsicherheit im Bundesgesundheitsamt, anzweifeln. Weil sie Wirkstoffe zusammen bringen, die in ihrer Kombination als therapeutisch unsinnig gelten.

Unbedenklich sind zum Beispiel einfache Erkältungspräparate wie Cetebe antiGrippal Erkältungstrunk Forte nicht. Sie könnten Sie getrost aus dem Arzneischrank verbannen. Den Grund liefert Schönhöfer: "Neben dem Schmerzstiller und Fiebersenker Paracetamol enthält es einen Wirkstoff, der das Nervensystem stimuliert, den Blutdruck erhöhen kann und zudem Herzrhythmusstörungen oder ein Herzinfarkt auslösen kann." Er hält die systemische Aufnahme für zu riskant.

Halluzinationen nach Erkältungstrunk

Die Sorgenfalten treibt ihm zudem der dritte darin enthaltene Wirkstoff auf die Stirn. "Dextromethorphan ist ein codeinähnliches Hustenmittel, das Bewusstseinsstörungen, Halluzinationen und Panikattacken auslösen kann und für Sucht sowie kriminellen Missbrauch – wie in ­K.o.-Tropfen – bekannt geworden ist". Solche Wirkungen sind von einem Erkältungsmittel sicher nicht erwünscht und dem in der Apotheke Hilfesuchenden weder bewusst noch bekannt.

Ähnlich verhält es sich mit Präparaten wie Grippostad C, Wick Daymed oder WickMedi Nait, die alle seiner Meinung nach das Etikett "Nicht sinnvoll" verdienen. Stattdessen könnte man sie durch eine Packung Paracetamol – falls erforderlich – zur Fiebersenkung ersetzen

"40 Milliarden Euro zahlen wir für Arzneimittel im Jahr. Mehr als acht Milliarden könnte man einsparen, ohne an therapeutischer Qualität zu verlieren", moniert Prof. Bernd Mühlbauer. "Häufig wird argumentiert, dass den Menschen hierzulande durch die mit dem Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz 2011 vorgeschriebene frühe Nutzenbewertung der Fortschritt vorenthalten bleibe. Ich sehe das anders. Wir sind so besser geschützt vor überflüssigen Medikamenten."

Wie gefährlich Arzneimittel vom Aknemittel bis zum Erkältungsbalsam sein können, lesen Sie hier.

(wat)
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